Kolumne
Wechselbad, 02.12.2009
Perspektive Mittelstand
Führen im Dialog
Die Wiederentdeckung der Basis
„Die Schere“ geht um in Deutschland. Sie öffnet sich zwischen Arm und Reich, zwischen Uni-Funktionären, Professoren und Studenten, zwischen Politikern und Volk – und zwischen Unternehmensführung und Mitarbeitern.
„Die da oben“, „die da unten“: Ist dies das traurige Sinnbild, das unsere politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation portraitiert? Es scheint sich eine Kluft nach der anderen aufzutun: Studenten und Schüler befinden sich im Bildungsstreik wegen des Bologna-Prozesses und des G8-Abis. Hochschulrektoren und Politiker „verstehen“, sagen sie, jetzt endlich die Probleme des bildungshungrigen Nachwuchses. Zuvor aber zeigten sie heftiges Unverständnis für dessen Nöte.

Die Kluft zwischen den SPD-Granden und der Basis – sie scheint kaum mehr überwindbar zu sein. Auch in München und Hamburg ist Kluft-Überwindung angesagt: Die CSU in Bayern sucht wieder verstärkt Kontakt mit den Wählern im Land und mit den sich ändernden gesellschaftlichen Verhältnissen, so Minister Markus Söder. Bisher fehlte der Kontakt also. Im Norden Deutschlands muss Oberbürgermeister Ole von Beust nach dem Scheiten der Schulreform zugeben, er habe nicht mit diesem immensen Widerstand gerechnet. 180.000 Unterschriften derer da unten verdeutlichen denen da oben, dass sich nicht über sie hinweg regieren lässt.

Überhaupt – die Politik: Die CDU-Basis in Thüringen rebelliert, die Landtagsabgeordneten auch: Sie lassen die dann doch noch gewählte Ministerpräsidenten erst einmal zwei Mal kräftig auf die Nase fallen. Und Bundesumweltminister Norbert Röttgen will alle Mitarbeiter seines Ministeriums persönlich kennen lernen. Anscheinend, so Medienberichte, versetzt dieses Vorhaben die Mitarbeiter in Erstaunen. Sie sind es wohl nicht gewohnt, dass der Chef persönlich mit ihnen reden will.

Gemeinsam ist allen geschilderten Fällen eine fast schon unheimliche Spaltung zwischen den Gruppierungen. Hat man denn so wenig Kontakt miteinander? Hört man sich so wenig gegenseitig zu?

Wer als Unternehmer und Führungskraft mit dem anklagenden Zeigefinger auf Politik und Gesellschaft zeigt, sollte bedenken: Mindestens drei Finger weisen auf ihn selbst zurück. Wie groß ist die Schere, wie tief ist die Kluft zwischen den Mitarbeitern und den Führungskräften bzw. Unternehmern? Ist der Frikadellen-Skandal, bei dem einer Mitarbeiterin gekündigt werden sollte, weil sie eine Frikadelle stibitzt haben soll, symptomatisch für die deutsche Unternehmenskultur?

In der Regel hat der Unternehmer weniger Mitarbeiter als der Politiker Wähler. Allerdings: Chefs haben keine Zeit mehr, sich die Zeit zu nehmen, um den Mitarbeitern zuzuhören und Betroffene zu Beteiligten zu machen.

Der Ausweg: Neben den persönlichen Kontakt, der wo immer möglich intensiviert werden muss, sollte ein durchdachtes und konsequent umgesetztes Kommunikations- und Informationssystem treten – etwa durch die strukturierte Kommunikation im Meeting, in denen ein offener Informations- und Meinungsaustausch stattfindet.

Die Information muss fließen – über das klassische Schwarze Brett ebenso wie über das Intranet, den ausgeklügelten E-Mail-Verteiler und den Mitarbeiterstammtisch, an dem auch Führungskräfte, ja, der Unternehmer teilnimmt. Die Menschen – und zwar „die da unten“, aber vor allem „die da oben“ – müssen alle kommunikativen Möglichkeiten nutzen, den Kontakt miteinander wieder aufzunehmen. Ansonsten verbreitert sich die Schere immer mehr.
ZUM KOLUMNIST
Über Dr. Reiner Czichos
Dr. Reiner Czichos ist Experte für professionelles Veränderungsmanagement und Projektmanagement. Er arbeitet seit über 30 Jahren als Trainer, Berater, Moderator, Organisations- und Personalentwickler sowie als Buchautor. Unter dem Motto „Das einzig Stabile ist ...
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