Der demographische Wandel ist längst Realität in deutschen Unternehmen – mit ganz neuen Anforderungen an die Führungskräfte. Ältere und jüngere Mitarbeiter integrieren, Wissen sichern, die Leistung ganzer Teams verbessern: wie können sie sich auf die Zukunft einstellen?
Neue Führungskompetenzen gefragt: Führung im Spannungsfeld des demografischen Wandels
Von Gudrun Kreisl
Der demographische Wandel ist längst Realität in deutschen Unternehmen – mit ganz neuen Anforderungen an die Führungskräfte. Ältere und jüngere Mitarbeiter integrieren, Wissen sichern, die Leistung ganzer Teams verbessern: wie können sie sich auf die Zukunft einstellen?
Höheres Durchschnittsalter der Belegschaft in Unternehmen, Konkurrenz der Recruiter um die besten Hochschulabsolventen, Integration ausländischer Fachkräfte – die Auswirkungen des demographischen Wandels sind bereits deutlich zu spüren. Fast immer ist der Begriff negativ besetzt. Doch ebenso Realität ist: diese Abwertung wird den erfahrenen Fachkräften so wenig gerecht wie den Chancen, die das Thema bietet. Es braucht aber eine umsichtige, integrierende und mutige Führung, um auf die neue Altersstruktur in den deutschen Unternehmen einzugehen. Umsichtig, um junge Mitarbeiter zu binden und ältere Kollegen zu motivieren sowie Leistungsfähigkeit bis ins Alter zu fördern, denn es geht darum, dem Unternehmen das vorhandene Wissen zu erhalten. Integrierend, um internationale Fachkräfte zu finden und zu binden. Mutig, wenn unpopuläre Entscheidungen notwendig werden. Wie sieht das in der Praxis aus?
Motivation und Leistungsfähigkeit – nicht nur im AlterDer Fachkräftemangel betrifft insbesondere technologisch ausgerichtete Unternehmen – aber nicht nur. Mitarbeiterbindung wird daher in Zukunft immer wichtiger.. Das Problem: die jungen Potenzialträger der sogenannten Generationen Y und Z schätzen meist ganz andere Arbeitsumgebungen, Organisationsstrukturen und Unternehmenswerte als ihre erfahrenen Kollegen. Junge Fachkräfte suchen nach Unternehmenskulturen, die am ehesten in Start-ups mit flachen Hierarchien, großer gestalterischer Freiheit beim Erreichen ihrer Ziele sowie Mitsprache bei Entscheidungen zu finden sind. Die vielen Formalien großer Konzerne schrecken sie häufig ab. Schon heute finden zum Beispiel IT-Konzerne nur schwer junge qualifizierte Fachkräfte für ihre Entwicklungsabteilungen. Wie also können Unternehmen mit einer tradierten Unternehmenskultur junge Mitarbeiter gewinnen und binden? Eine kooperative, motivierende Führung, die den Mitarbeitern anspruchsvolle Aufgaben überträgt, ihnen Freiheiten lässt und gleichzeitig notwendige Erfahrungswerte vermittelt, ist hier gefragt. Denn: Mitarbeiter stimmen mit den Füßen ab. Das gilt heute mehr denn je.
Andererseits ist es ebenso wichtig, die älteren Mitarbeiter nicht nur zu halten und länger zu beschäftigen, sondern sie auch leistungsfähig zu halten. Ihr Anteil an der Gesamtbelegschaft wird schließlich zunehmen. Immer schnelllebigere Technologien fordern zum Beispiel Offenheit für Neues und geistige Flexibilität; diese bleibt dann leichter erhalten, wenn die Personen immer wieder herausfordernde Themen gestellt bekommen. Gleichzeitig wird auch die Gesundheit immer wichtiger, viele Unternehmen sind hier schon recht weit vorgestoßen und bieten Unterstützung an wie etwa Sportkurse, bewusste Ernährung in der Kantine und ergonomische Büroeinrichtung und entsprechend individuelle Beratung zu Bewegung und Haltung.
Integrieren von Fachkräften aus anderen LändernOst- und südeuropäische Länder können dem deutschen Arbeitsmarkt etwas bieten, was er dringend braucht: Junge Fachkräfte bzw. Akademiker insbesondere in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Das aber bedeutet Integration von Menschen mit geringen Deutschkenntnissen und das Anbieten eines Umfeldes, in dem die „ausgewanderten“ Mitarbeiter sich wohl fühlen können – auch wenn Heimat, Freunde und gewohntes Umfeld allenfalls über Skype erreichbar sind. Viele von ihnen brechen ihre sichere Anstellung nach ein oder zwei Jahren wieder ab, weil sie das Arbeiten und Leben in einem fremden Land nicht aushalten. Um als Unternehmen wertvolle und dringend benötigte Mitarbeiter auch zu behalten, braucht es eine menschliche und integrierende Führung sowie ein Betreuungskonzept, in dem auch der private Mensch vorkommt und berücksichtigt wird. So kann es z. B. helfen, einem spanischen Mitarbeiter auf einen spanisch sprechenden Gesprächskreis hinzuweisen oder diesen zu initiieren, bei der Wohnungssuche behilflich zu sein usw. usw.. Dabei gewinnen alle: das Unternehmen, weil es freie Stellen besetzen kann und andere Sichtweisen, Kulturen und Erfahrungen „frei Haus“ bekommt, und die jungen Mitarbeiter, weil sie endlich wieder eine berufliche Perspektive haben.
Situativ FührenDer junge Leiter eines altersgemischten Teams bekam sehr deutlich zu spüren: den Mitarbeitern ist es wichtig, nicht aufgrund ihres Alters per se als „jung und innovativ“ oder „älter und unflexibel“ eingeordnet zu werden. Flexibel ist, so stellte er schnell fest, wer in seinem Arbeitsleben schon viele unterschiedliche Aufgaben erledigt und Veränderungen mitgestaltet hatte. So erwiesen sich einige seiner älteren Mitarbeiter in der aktuellen Veränderungssituation als wahre „Change Agents“. Da er zunächst beobachtete, welche seiner Mitarbeiter besonders offen für neue Themen und Technologien waren, konnte er junge und ältere Mitarbeiter für die Veränderung gewinnen und mit ihnen schließlich Akzeptanz im gesamten Team erzeugen.
Deshalb ist situative Führung so entscheidend: jeden Mitarbeiter mit seinen individuellen Fähigkeiten, Bedürfnissen und Zielen ernst zu nehmen.
Mutige EntscheidungenDemographischer Wandel heißt im Klartext schlicht, das Durchschnittsalter steigt – in der Gesamtbevölkerung wie in den Unternehmen. Das bringt natürlich einerseits Erfahrung und Gelassenheit mit sich. Andererseits sind bestimmte Schwierigkeiten unausweichlich. Es ist wahr, ein älterer Kopf kann sich nicht so schnell ganz neue Dinge aneignen. Bei der Einarbeitung in neue Themen ist daher mehr Zeit einzuplanen.
Und noch schwieriger: die persönlichen Charaktereigenschaften von Menschen verstärken sich gewöhnlich im Alter. Dies gilt im Guten: zum Beispiel bei Besonnenheit, Selbstbewusstsein oder Charisma. Aber auch im Schlechten. So kann es vorkommen, dass ein Mitarbeiter im Team irgendwann nicht mehr tragbar ist ... Womöglich jemand, der immer sehr risikobereit war und so einige gute Vorstöße gewagt hat. Wird die Risikobereitschaft zu groß und mündet in Unüberlegtheit ohne Rücksicht auf neue Rahmenbedingungen, wird es schwierig. Oder persönliche Themen wie ein aufbrausendes Temperament oder Unfreundlichkeit: vielleicht war ein Kollege über die Jahre hin noch erträglich, wird aber mit zunehmendem Alter zur echten Belastung fürs Team. Hier gilt es, unternehmerisch vernünftig zu handeln. Überwiegen die Vorteile und Leistungen des Betroffenen noch, oder ist er eine Zumutung für Kollegen, Vorgesetzte und sogar Kunden? Manchmal ist eine Trennung die richtige Entscheidung, und es ist wichtig, sie beherzt und mutig zu treffen.
FazitUnternehmenserfolg hängt immer mehr auch vom Umgang mit der alternden Belegschaft ab. Gesundheit und intellektuelle Leistungsfähigkeit fördern, Motivation und Mitarbeiterbindung – all das ist in diesem Zusammenhang ganz entscheidend. Und natürlich dürfen die jungen Nachwuchskräfte dabei nicht vergessen werden: sie sind ebenso wichtig, und sie sind die Zukunft des Unternehmens. Das wollen und sollten sie spüren.