Pressemitteilung, 11.01.2007 - 09:49 Uhr
Perspektive Mittelstand
„Ertrage die Clowns“ – Warum Joachim Fest besser einen Zettel verschluckt hätte
(PM) , 11.01.2007 - Von Ansgar Lange Bonn/Hamburg – Ich gebe es zu: Dieses Buch habe ich mit besonderer Spannung in die Hand genommen. Die Erwartungshaltung war groß. Leider werden große Erwartungen aber oft enttäuscht. Und man muss feststellen, die Erinnerungen von Joachim Fest enttäuschen ein wenig. „Ich nicht“ gehört nicht zu den stärksten Büchern des vor kurzem verstorbenen Historikers und Publizisten. Es ist bereits viel über dieses Werk geschrieben worden, so dass nur einige persönliche Anmerkungen und Kommentare sinnvoll erscheinen. Fangen wir mit dem persönlichen Interesse an. Als ich Fest für ein Zeitschriftinterview vor knapp anderthalb Jahren in seinem Haus in Kronberg sprach, teilte er mit, dass er nur noch ein Erinnerungsbuch an seine Kindheit und Jugend schreiben wollte. Seine beruflichen Stationen seien nicht von Interesse für den Leser. Letztlich hat er seinem Vater, der im „Dritten Reich“ tapfer Widerstand leistete und nicht an der großen „Volksgemeinschaft“ teilhaben wollte, ein Denkmal gesetzt. Doch dieser Johannes Fest, ein katholischer Volksschulrektor, wirkt nicht wie ein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern wie ein Übermensch. Und Übermenschen erdrücken uns oft. Sicher, die Lebensleistung von Fest senior ist bewundernswert, aber begegnet er uns nicht ein wenig zu preußisch, zu humorlos, zu staatstragend? Als Leser achtet und respektiert man ihn. Doch wird man ihn auch mögen? Joachim Fest lässt kaum ein Wort der Kritik an seinem Vater zu, der als eine Art Heros auftritt. Oscar Wilde hat geschrieben: „So etwas wie ein moralisches oder ein unmoralisches Buch gibt es nicht. Bücher sind entweder gut oder schlecht geschrieben. Das ist alles“. Wie kann man diesen Satz auf Fests Erinnerungen beziehen? Natürlich ist das Buch gut geschrieben. Schließlich war der Autor ein glänzender Stilist. Doch es ist zugleich voller Pathos, Weihrauch und klassischer Strenge. Man ist ja schon dankbar, wenn man etwas über die Jugendstreiche des nicht immer braven Berliner Jungen Joachim Fest liest. Wer den ehemaligen FAZ-Herausgeber persönlich erlebt hat, wusste um seine Schwächen. Mit Sicherheit konnte ihm kein Mangel an Eitelkeit oder Selbstsicherheit vorgeworfen werden. Er wollte gern ein Großbürger sein. Daher betont er immer wieder den dementsprechenden Hintergrund der Familie, obwohl der allenfalls bildungsbürgerlich war. Doch was heißt bildungsbürgerlich? Man darf vermuten, dass Joachim Fest eine gewisse Enge der Sichtweise von seinem Vater geerbt hat. Der Hitler-Biographie konnte der Literatur des 20. Jahrhunderts kaum etwas abgewinnen. Kein Wunder, wenn man sich die Bibliothek des Vaters anschaut: „Mein Vater liebte die Bücher. Sein Stolz war die chronologische Goethe-Ausgabe des Propyläen-Verlages, die er mit seinem ersten Gehalt erworben hatte, sowie eine kleinere Werkausgabe von zehn oder zwölf Bänden. Daneben standen die Schriften von Lessing bis Heine, natürlich Shakespeare und vieles andere bis hin zu dem bewunderten Fontane in seinen nicht einmal weiträumigen, lediglich knapp drei Wände seines Arbeitszimmers deckenden Bücherschränken.“ Solche Sätze schnüren einem die Luft ab. Muss es denn immer klassisch sein? Geht es nicht eine Nummer kleiner? Die Liebe zur Klassik und zu Preußen geht einher mit sozialem Hochmut. Romane sind was für Dienstmädchen, der Nationalsozialismus ist ein Gossenthema – all dies soll Johannes Fest gesagt haben. Sein Sohn hat es bei diversen Interviews ständig wiederholt. Doch sind diese Aussagen wirklich so bedeutsam? Sind sie nicht eher ein Ausdruck von Dünkel, ja vielleicht von schlichter Banalität? Genauso geht es einem bei dem Satz „Ertrage die Clowns“. Dies soll Johannes Fest seinem Sohn eingeschärft haben. Den auf die Nazis gemünzten Ausspruch habe er dann immer auf einem Zettel bei sich getragen. Vielleicht hat der FAZ-Herausgeber während des Historikerstreits auf diesen Zettel geschaut, denn mit solcher geistigen Stärkung konnte er die Narreteien, die Habermas und Wehler im Historikerstreit von sich gegeben haben, vielleicht besser ertragen. Die Nazis als Clowns zu bezeichnen, erscheint allerdings seltsam unpassend. Es ist ein schiefer Begriff. Hitler war kein Clown, auch wenn uns dies nun so genannte „Führer“-Komödien glaubhaft machen wollen. Es schadet nicht, dieses Buch zu lesen. Aber man muss es auch nicht tun. Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus gibt es mittlerweile genug. Ich hätte mir ein Buch gewünscht, in dem Fest über seine Zeit als großer deutscher Publizist und Autor historischer Werke Auskunft gegeben hätte. Doch auch seine lange Zeit als FAZ-Herausgeber scheint er nur als berufliche Fron empfunden zu haben, als nicht berichtenswert. Dass sich etliche Rezensenten auf irgendwelche Zettel, die angeblich zur Speise deutscher Philosophen gedient hätten, gestürzt haben, ist lächerlich. Das sind nur Geschichten am Rande. Es bleibt die Erkenntnis, dass man sich von der Masse fernhalten sollte – damals wie heute. Denn diejenigen, die heute über die „Volksgemeinschaft“ von damals moralisch zu Gericht sitzen, gehören jetzt der neuen „Volksgemeinschaft“ an und bekämpfen ihnen unliebsame Meinungsäußerungen gern auch mal mit den Mitteln der Justiz. Am Ende bleibt die Frage, wie wohl der weibliche Teil der Familie Fest dieses Buch aufgenommen hätte. Denn Frauen spielen hier allenfalls nur Nebenrollen. Ein eigenständiges geistiges Leben wird ihnen nicht zugestanden. Mutter und Schwestern bleiben ohne Konturen. Auf Seite 273 berichtet Fest, dass er in der Kriegsgefangenschaft Somerset Maugham, Balzac, Flaubert und Dickens gelesen habe. Vielleicht sollte man das besser tun als zu seinem Erinnerungsbuch zu greifen. Die Fests waren sicher eine moralisch intakte Familie. Um noch einmal Wilde zu zitieren. „Anfangs lieben Kinder ihre Eltern; wenn sie älter werden, urteilen sie über sie; manchmal vergeben sie ihnen“. Dies trifft auf Fest nicht zu, denn er hat seinen Vater offensichtlich über die Maßen verehrt und idealisiert. Doch müssen wir Zeuge dieser Verehrung sein? Nein, denn das Pathos dieses Bucher verstört uns viel mehr als die kühle stilistische Brillanz seiner vorherigen Bücher. Um es einmal böse zu formulieren: Hätte Fest junior im übertragenen Sinne den Zettel mit dem Zitat „Ertrage die Clowns“ verschluckt, so wäre er vielleicht etwas freier geworden. Joachim Fest: Ich nicht. Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend. Rowohlt-Verlag: Reinbek bei Hamburg 2006. 367 Seiten, 19,90 Euro.