In der modernen, von Veränderung geprägten Welt geraten wir beruflich und privat häufig in Situationen, in denen wir uns entscheiden und Weichen in unserem Leben neu stellen müssen. Dies gelingt uns nur, wenn wir eine Vision von unserem künftigen Leben haben und wissen, was uns wichtig ist.
Um die Weichen neu stellen, braucht es die Bereitschaft zur Reflektion.
Wechsele ich den Job, weil ich Karriere machen möchte, oder
ist mir Sicherheit wichtiger? Mache ich eine Weiterbildung oder fliege
ich auf die Bahamas? Gründe ich mit meinem Partner eine Familie oder ist
mir meine Unabhängigkeit wichtiger? Vor solchen Entscheidungen stehen
wir in der modernen von Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten
Welt in unserem Leben immer öfter.
Sich zu entscheiden, fällt
vielen Menschen schwer. Denn: Wenn wir uns für etwas entscheiden, müssen
wir andere Möglichkeiten verwerfen. Das können wir nur, wenn wir
wissen, was uns wichtig ist. Sonst fassen wir zwar viele Vorsätze, doch
ein, zwei Tage später sind sie vergessen. Denn unsere Vorsätze sind
nicht in einer Lebensvision verankert.
Hinzu kommt: Was in
unserem Leben wirklich wichtig ist, ist nie dringend. Es ist zum
Beispiel nie dringend, joggen zu gehen. Es wäre aber gut für unsere
Gesundheit. Und es ist nie dringend, sich Zeit für ein Gespräch mit dem
Partner zu nehmen. Es wäre aber gut für die Beziehung.
Weil die
wirklich wichtigen Dinge nie dringend sind, schieben wir sie oft vor uns
her. Oder wir hegen die Illusion: Wenn ich alles schneller mache, habe
ich auch dafür Zeit. Die Konsequenz: Wir führen ein Leben im
High-Speed-Tempo. Und irgendwann stellen wir resigniert fest: Nun führe
ich zwar ein (noch) ge-füllteres Leben, aber kein er-fülltes Leben.
Herausforderung: Die Balance im Leben wahren
Eine
solche Schieflage ist kein Einzelschicksal. Immer mehr Menschen plagt
das Gefühl: Mein Leben ist nicht im Lot. Eine Ursache hierfür ist: Sie
haben zwar für einzelne Lebensbereiche eine klare Perspektive, jedoch
nicht für ihr Leben als Ganzes. So wissen manche Menschen beruflich zwar
„Ich will ein Top-Manager werden“. Doch privat? Andere wiederum wissen
„Ich will heiraten und Kinder kriegen“, doch beruflich haben sie keinen
Plan. Entsprechend orientierungslos schlingern sie durchs Leben.
Dem
2010 verstorbenen Psychologen Nossrat Peseschkian, der die Positive
Psychotherapie begründete, zufolge, gilt es in unserem Leben folgende
vier Bereiche zu unterscheiden: „Arbeit/Beruf“, „Sinn/Kultur“,
„Körper/Gesundheit“ und „Familie/Beziehung“.
Und
für all diese Bereiche brauchen wir klare Ziele, wenn wir ein Leben in
Balance führen möchten, denn sie stehen in einer Wechselbeziehung zu
einander. Deshalb verliert, wer zum Beispiel den Bereich „Arbeit/Beruf“
längerfristig überbetont und die anderen vernachlässigt, auf Dauer neben
seiner Lebensfreude auch seine Leistungskraft. Denn:
• Wer krank ist (Körper/Gesundheit), kann weder sein Leben in vollen Zügen genießen, noch ist er voller Leistungskraft.
•
Wer einsam ist (Familie/Beziehung), ist weder „quietsch-vergnügt“, noch
kann er seine volle Energie auf seinen Job verwenden. Und:
•
Wer in einer Sinnkrise steckt (Sinn/Kultur), ist weder „lebensfroh“,
noch leistungsfähig. Denn hinter allem Tun steht die Frage: Was soll das
Ganze?
Voraussetzung: eine Vision von unserem künftigen Leben
Wenn
wir ein erfülltes Leben führen möchten, müssen wir also für die rechte
Balance zwischen den vier Lebensbereichen sorgen. Hierfür brauchen wir
eine Vision von unserem künftigen Leben. Diese benötigen wir auch, weil
heute viele Anforderungen an uns gestellt werden, die nur bedingt
miteinander vereinbar sind. Das werden fast alle berufstätigen Mütter
sofort bestätigen.
In den meisten höher qualifizierten Jobs sind
unregelmäßige Arbeitszeiten normal. Für berufstätige Mütter bedeutet
dies: Sie können nicht täglich beispielsweise Punkt 16 Uhr das Büro
verlassen. Was sollen sie also tun, wenn der Kinderhort um 16 Uhr
schließt? Noch ein Beispiel: Vielen Projektmitarbeitern von Unternehmen
fällt es zunehmend schwer, regelmäßige private Termine wahrzunehmen.
Denn immer wieder müssen sie, weil Abgabefristen nahen, länger als
geplant im Büro bleiben. Also sind (Interessen-)Konflikte
vorprogrammiert.
Für solche Konflikte bietet uns das klassische
Zeit- und Selbstmanagement keine Lösung – denn es berücksichtigt nicht,
dass unsere größten Konflikte meist daraus resultieren, dass wir in ein
Beziehungsnetz eingebunden sind. Hierfür zwei Beispiele: Ein
Angestellter kann sich zwar vornehmen „Heute Abend, Punkt 18 Uhr,
verlasse ich das Büro.“ Wenn sein Chef aber kurz vor 18 Uhr sagt „Dieses
Angebot muss heute noch raus“, dann hat er ein Problem. Ebenso verhält
es sich, wenn er sich vornimmt „Ich gehe abends regelmäßig joggen“, sein
Lebenspartner aber sagt: „Wenn du schon so spät von der Arbeit kommst,
dann könntest du wenigstens dann bei den Kindern bleiben.“ Auch dann hat
er ein Problem.
Ziel: Manager des eigenen Lebens werden
Das
klassische Zeitmanagement tut so, als würden wir als „lonely heroes“
durchs Leben gehen. Das können wir zwar, doch ein erfülltes Leben führen
wir so nicht, denn: Menschliches Leben ist Leben in Gemeinschaft. Hinzu
kommt: Viele Anforderungen können wir nur mit Hilfe anderer Menschen
meistern. Zum Beispiel, indem wir mit Bekannten vereinbaren: „Montags
holst du meine Kinder ab, damit ich länger arbeiten kann. Dafür nehme
ich deine Kinder am Dienstag mit.“ Hieraus resultiert eine weitere
Herausforderung: Wir müssen sozusagen „Manager“ unseres eigenen Lebens
werden – also Personen, die durch ihr heutiges Handeln dafür sorgen,
dass sie auch künftig ein glückliches und erfülltes Leben führen.
Eine
Voraussetzung hierfür ist: Wir müssen heute dafür sorgen, dass wir auch
künftig nicht unsere Lebensbalance verlieren. Zum Beispiel, weil
• wir unseren Arbeitsplatz verlieren (Bereich „Arbeit/Leben“),
• uns unser Lebenspartner verlässt (Bereich „Familie/Beziehung“),
• wir einen Herzinfarkt erleiden (Bereich „Körper/Gesundheit“) oder
• uns das Burn-out-Syndrom und damit die Sinnkrise packt (Bereich „Sinn/Kultur“).
Pro-aktiv handeln statt re-agieren
Der
erste Schritt hierzu besteht darin, dass wir eine Vision von unserem
künftigen Leben entwickeln. Setzen Sie sich also regelmäßig hin und
fragen Sie sich bezogen auf die vier Lebensbereiche:
• Was ist mir wichtig?
• Worin zeigt sich für mich ein erfülltes Leben? Und:
• Was sollte ich heute tun, damit ich auch morgen ein glückliches Leben führe?
Fragen
Sie sich zudem (regelmäßig): Gibt es in meinem Lebensumfeld Anzeichen
dafür, dass künftig die Balance in meinem Leben bedroht sein könnte?
Solche Warnsignale können sein:
• Zwischen Ihnen und Ihrem Lebenspartner herrscht zunehmend Schweigen. (Bereich „Familie/Beziehung“).
• In Ihrem Betrieb lautet die oberste Maxime plötzlich „Sparen“ (Bereich „Arbeit/Beruf“).
• Sie fragen sich immer häufiger: Was soll das Ganze? (Bereich „Sinn/Kultur“).
• Sie spüren ab und zu ein Stechen in Ihrer Herzgegend (Bereich „Körper/Gesundheit“).
Haben
Sie diese Fragen für sich beantwortet, dann können Sie Vorsätze fassen
und einen Maßnahmenplan für sich entwerfen, wie Sie diese realisieren.
Und zwar ohne dass die Gefahr besteht, dass Sie Ihre Vorsätze schnell
wieder vergessen haben, denn diese sind nun in einer Vision von Ihrem
künftigen Leben verankert.
Intuitiv spüren, was wichtig und richtig ist
Doch
Vorsicht: Unser Lebensumstände ändern sich heute sehr rasch. Deshalb
genügt es nicht, einmal einen Lebensplan für sich zu entwerfen und
diesen dann abzuarbeiten. Vielmehr müssen wir uns regelmäßig unsere
Lebensvision ins Gedächtnis rufen und uns fragen: „Bin ich noch auf dem
richtigen Weg, meine Lebensziele zu erreichen, oder sollte ich
Kurskorrekturen vornehmen?“. Dann werden Sie mit der Zeit merken, wie
Ihre Lebensvision immer stärker in Ihnen wirkt, und es Ihnen immer
leichter fällt, sich zu entscheiden – weil Sie wissen, was Ihnen wichtig
ist, und deshalb auch intuitiv spüren, was richtig ist.
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Christine Seitter
Zur
Autorin: Christina Seitter arbeitet als Trainerin und Beraterin für die
Managementberatung Müllerschön, Starzeln bei Tübingen
(www.muellerschoen-beratung.de). Sie ist auf die Themenfeld
Personalauswahl und -entwicklung, Selbst- und Stressmanagement
spezialisiert.