Kolumne
Wechselbad, 14.04.2009
Perspektive Mittelstand
Entscheidungsfindung
Management-Teams brauchen eine Verfassung
In vielen Unternehmen, in zahlreichen Management-Teams werden Entscheidungen diktatorisch gefällt – nicht immer ganz freiwillig. Notwendig ist daher eine klare Regelung, wie solche Prozesse ablaufen sollen.
Im Februar hat Barack Obama es geschafft, das Konjunkturpaket durch Senat und Repräsentantenhaus zu bringen. Im Repräsentantenhaus mit der Mehrheit der Demokraten und gegen den heftigen Widerstand der Republikaner, im Senat mit den Stimmen einiger republikanischer Senatoren. Dabei musste er heftiges Murren seiner Demokraten in Kauf nehmen. Angela Merkel, Peer Steinbrück und Co hatten es mit ihrem Konjunkturprogramm einfacher: der Mehrheit der großen Koalition sei Dank. Insgesamt also Beispiele für gelungene und gelebte Demokratie durch Mehrheitsentscheidungen.

Und wie sieht es in den Unternehmen aus? Wie werden dort Entscheidungsprozesse auf den Weg gebracht? Durch Mehrheitsentscheidungen? Sicher, im Aufsichtsrat oder im Vorstand wird abgestimmt. In den Management-Teams unter dem Vorstand auch? Meine Erfahrung sagt, dass es dort selten Abstimmungsdemokratie gibt. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen schieben viele Führungskräfte und Mitarbeiter die Verantwortung gerne nach oben ab. Der Chef mutiert unfreiwillig zum „Diktator“, er muss eine klare Ansage treffen, wie es weiter geht.

Des Weiteren gibt es die paradoxe Situation, dass „diktatorische“ Entscheidungen aus dem Willen zum Konsens erwachsen. Konsens heißt, dass letztendlich „alle“ zustimmen und abnicken. Endlose Diskussionen sind die Folge, in denen Überzeugungsarbeit bis zur Erschöpfung geleistet werden muss. Ziel ist die 100-Prozent-Zustimmung aller Beteiligten. Da hilft schließlich nur das autoritäre Machtwort des Chefs, der den gordischen Knoten durchschlägt.

Hinzu kommen die Chefs, die sich von Vornherein in der unzeitgemäßen Attitüde des autoritären Basta-Diktators gefallen. Und viele Führungskräfte wollen nicht von ihrer Meinung abrücken, weil sie den Vorwurf des Einknickens und Versagens fürchten. Wider besseres Wissen halten sie den Widerstand aufrecht und tragen zur Verlangsamung der Entscheidung bei.

Es gibt in vielen Unternehmen hinreichend Grund, das Zustandekommen von Entscheidungsprozessen zu überdenken. Schlüsselfragen für Management-Teams sind: „Wie entscheiden wir? Nach welchen Kriterien und vor allem mit welchem Quorum? 51 Prozent Mehrheit? Zweidrittelmehrheit? Mit Veto für den Chef oder gar auch für den Controller oder die jeweilige betroffene Führungskraft?“

Management-Teams, in denen die Abstimmungsdemokratie durch „diktatorische“ Entscheidungsstrukturen abgelöst worden ist oder nie existiert hat, sollten in Klausur gehen und über eine „Verfassung“ nachdenken, in der klar geregelt ist, wie Entscheidungsprozesse ablaufen müssen. Und dann kann die Entscheidung über die Entscheidungs-Verfassung auch gleich den Präzedenzfall für die Zukunft abgeben.

ZUM KOLUMNIST
Über Dr. Reiner Czichos
Dr. Reiner Czichos ist Experte für professionelles Veränderungsmanagement und Projektmanagement. Er arbeitet seit über 30 Jahren als Trainer, Berater, Moderator, Organisations- und Personalentwickler sowie als Buchautor. Unter dem Motto „Das einzig Stabile ist ...
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