VOLLTEXTSUCHE
Kolumne
Alles was Recht ist, 07.06.2011
EHEC-Epidemie
Produkthaftung für mangelhafte Qualitätssicherung
Die EHEC-Epidemie wirft - angefangen von der Qualitätssicherung bis hin zur Haftung - eine Reihe Fragen auf und macht doch eines jetzt schon deutlich: Die Agrar- bzw. Landwirtschaft sowie die Lebensmittelindustrie wird sich auf neue Qualitätsanforderungen einstellen müssen.

Neben der Tragik der EHEC-Epidemie der Schock: Also doch nicht Gurken aus Spanien, sondern Bio-Ware aus deutschen Landen? Aktuellen Medienberichten zufolge führen deutliche Ursachen-Indizien zu einem Biohof in Niedersachsen. Sind Sprossen von einem Betrieb aus Uelzen eine Quelle der Infektionen mit dem EHEC Bakterium und Auslöser der Epidemie und dadurch bedingter Todesfälle? Erste Tests erhärten den Verdacht! Stellt sich die Frage: Können wir dem Gütesigel „BIO“ bzw. der eigenen deutschen Landwirtschaft noch vertrauen? Und: Wie ist es um die Qualitätssicherung und Produkthaftung bestellt?

Jeder Erzeuger landwirtschaftlicher Produkte, der diese in den Verkehr bringt, hat die ganz persönliche Verkehrssicherungspflicht, eigenverantwortlich zu prüfen, ob seine Produkte bedenkenlos konsumiert werden können und kein Sicherheitsrisiko für die Verwender – jedermann, der mit ihnen in Berührung kommt - darstellen. Diese Verantwortung ist eine Frage der Qualitätssicherung vom Anbau bis zum Teller der Konsumenten. Wie sieht es aus mit dieser Qualitätssicherung in deutschen Landwirtschaftsbetrieben?

EHEC-verseuchtes Gemüse ist zunächst unstreitig ein Fall der Gewährleistungshaftung wegen mangelhafter Qualität. Der Hersteller würde darüber aber nur Ware einwandfreier Qualität schulden. Es würde den Opfern der Epidemie und deren Angehörigen wenig helfen, wenn sie nun unverseuchte Sprossen nachgeliefert bekommen würden. Im Raum stehen Todesfälle und damit irreparable Folgeschäden sowie hohe volkswirtschaftlichen Kosten, die die aktuelle Suche und Bekämpfung der Epidemie auslöst. Hier hilft die verschuldensunabhängigen Produkt- und Gefährdungshaftung weiter, die den Hersteller eines Produktes verpflichtet dafür Sorge zu tragen, dass sein Produkt keine dritten Personen schädigt. Im Falle eines Mangels an Konsum-Sicherheit haftet der Hersteller bzw. Händler gerade für Folgeschäden im Zusammenhang mit dem Konsum seiner Produkte. Der Hersteller schuldet den Lebensmittelkonsum-Sicherheitsstandard, den die Verkehrsauffassung in diesem Zusammenhang für den Endverbraucher für erforderlich hält. Unser Lebensmittelrecht kennt eine Fülle von EU-Verordnungen und Richtlinien Regelungen zur Verarbeitungs- und Vermarktungsqualität von Lebensmitteln und hier speziell Gemüse. Die weiteren Ermittlungen werden zeigen, wo und wodurch im Erzeugungs- und Vermarktungsvorgang die Bakterien Einzug gefunden haben.

Der Produkthaftung unterliegen alle Hersteller, die ein Produkt oder Teile davon hergestellt haben, alle so genannten Quasi-Hersteller, also solche, die auf dem von einem anderen Unternehmer hergestellten Produkt ihre Marke oder Warenzeichen etc. anbringen und es als ihr Produkt erscheinen lassen. Kernvorschrift des Produkthaftungsgesetzes ist sein § 1 Abs. 1 S. 1. Dort heißt es: "Wird durch den Fehler eines Produktes jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produktes verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen". Nach § 14 ProdHaftG kann die Haftung des Herstellers nach dem Produkthaftungsgesetz im Voraus weder ausgeschlossen noch beschränkt werden. Entgegenstehende Vereinbarungen – egal ob über AGBs oder individuelle Vereinbarungen - sind nichtig.

Neben der verschuldensunabhängigen Haftung nach Produkthaftungsgesetz bleibt die Haftung aufgrund anderer Vorschriften - wie z.B. Deliktshaftung - unberührt. Insbesondere die Haftung auf Schmerzensgeldes hat ihre Grundlage im BGB: Nach §§ 823, § 253 BGB besteht der Schmerzensgeldanspruch im Falle der schuldhaften Verletzung des Körpers oder der Gesundheit sowie im Falle der Freiheitsentziehung.

Auch wenn die Ursachen- und Schuldigensuche im aktuellen EHEC-Fall noch offen ist – eines ist sicher: Auf die deutsche und europäische Landwirtschaft werden neue Qualitätssicherungsanforderungen zukommen, denn offensichtlich befindet sich die Landwirtschaft vor stark veränderten Rahmenbedingungen und Managementherausforderungen: Agrarmärkte werden zunehmend liberalisiert und sind zunehmend volatil mit stark schwankenden Faktor- und Produktpreisen, die Prämien von der Produktion sind entkoppelt und die Anforderungen an die Qualität und Sicherheit der Produkte werden wachsen.

Das Qualitätsmanagement beschreibt im Allgemeinen ein auf  ein Unternehmen und seine Wertschöpfungskette bezogenes Verfahren. Durch systematisches Analysieren, Planen, Umsetzen und Dokumentieren wird die Qualität der Leistungserzeugnisse optimiert. So ist nach DIN EN ISO 9001:2000 ff. ist die ordnungsgemäße Umsetzung eines Qualitätsmanagementsystems mit einem 3-stufigen Kontrollsystem nachzuweisen. Neben Eigenkontrollen werden die Unternehmen in regelmäßigem Turnus durch externe neutrale Zertifizierungsstellen kontrolliert. Auch in der Ernährungsindustrie ist die Norm DIN EN ISO 9001:2000 ff. bei größeren Unternehmen ein flächendeckender Standard. In kleineren Handwerksbetrieben sowie auf landwirtschaftlicher Erzeugerstufe sind Qualitätsmanagementsysteme auf Basis der Norm DIN EN ISO 9001:2000 ff. aufgrund des verhältnismäßig hohen Aufwandes bei der Umsetzung noch wenig verbreitet.

Unter dem Einfluss der aktuellen EHEC-Fälle werden neue Formen und Prozesse des Qualitätsmanagements in Verbindung mit einer speziellen effektiven Lebensmittelerzeugungs-Zertifizierung diskutiert werden müssen. Die Kernfrage: Wie können bzw. müssen betriebsübergreifenden Zertifizierungssysteme in den Wertschöpfungsketten der Agrar- und Ernährungswirtschaft künftig aussehen, um ein Höchstmaß an Verbrauchersicherheit zu gewährleisten, die nicht nur Marketing-Gimmicks sind, sondern Lebensmittel sicherer machen?

ZUM KOLUMNIST
Über Prof. Dr. Christoph Schließmann
Prof. Dr. Christoph Ph. Schließmann ist Wirtschaftsanwalt und Fachanwalt Arbeitsrecht in Frankfurt am Main und berät und begleitet seit über 20 Jahren Unternehmen, Unternehmer, Aufsichtsräte, Vorstände und Geschäftsführer in Fragen der Unternehmens-, ... mehr
WEITERE KOLUMNEN
Prof. Dr. Christoph Schließmann
Das Tamagotchi-Phänomen
Was ein Hype um Facebook! Und einen Tag nach dem Börsengang waren alle enttäuscht ob der flauen Performance. Alle? Nein, nur die, die wieder mal glaubten, ... mehr
Bedenklicher Trend zur Selbst-Juristerei: „Jus-Yourself“ nicht zu empfehlen“ Überhebliche Branchengrößen: Beratungsresistent - und schließlich pleite Leadership-Essay: Führen kraft künstlicher Intelligenz?
alle Beiträge dieses Autors
KOLUMNIST
Kolumnist
Prof. Dr. Christoph
Schließmann
zur Kolumne
Anzeige
BRANCHENVERZEICHNIS
Branchenverzeichnis
Kostenlose Corporate Showrooms inklusive Pressefach
Kostenloser Online-Dienst mit hochwertigen Corporate Showrooms (Microsites) - jetzt recherchieren und eintragen! Weitere Infos/kostenlos eintragen
Anzeige
NEWS/ARTIKEL/INTERVIEWS
Erneuerbare Energien
Fast 40 Prozent des Stroms aus Windkraft, Photovoltaik und Biogas
NEWS +++ Die Windkraft bleibt weiter unter den regenerativen Energien wichtigster Stromlieferant in ... mehr
Unternehmensentwicklung
Die Unternehmenskultur gezielt entwickeln
ARTIKEL +++ Viele Top-Manager befassen sich ungern mit dem Thema Unternehmenskultur. Dabei hat die ... mehr
Intuition
Der Geistesblitz im richtigen Moment
INTERVIEW +++ Intuition ist für viele Menschen schwer greifbar und doch im Business ein unverzichtbarer Impuls, ... mehr
PRESSEPORTAL
Presseportal
Presseforum Mittelstand - das kostenlose Presseportal
Kostenfreier Pressedienst für Unternehmen und Agenturen mit digitalen Pressefächern für integrierte, professionelle Online-Pressearbeit zum Presseportal
BUSINESS-SERVICES
© novo per motio KG