DiSG-Persönlichkeitsprofil
Die Persönlichkeit besprechbar machen
Mit Persönlichkeitsprofilen lässt sich im Team erforschen, wo die Stärken und die Schwächen jedes Einzelnen liegen, wie die Teammitglieder harmonieren und woran es hakt, und darauf aufsetzend ein Entwicklungsprozess anstoßen.
Der Selbsterkenntnis und eventuell sogar einer Verhaltungsänderung dienen die in Zeitschriften veröffentlichten Persönlichkeitstests kaum. Hierfür sind sie auch nicht konzipiert. Anders ist dies bei den wissenschaftlich fundierten Tests, wie sie zum Beispiel bei Eignungsprüfungen zum Einsatz kommen. Ihr Anspruch lautet schon, ein möglichst objektives sowie aussagekräftiges Bild über eine Person und deren Verhalten zu entwerfen.
Keine Tests, sondern Analyseinstrumente
Dabei ist Bezeichnung „Test“ jedoch irreführend. Denn sie lässt viele Menschen an die Klassenarbeiten in der Schule und die Klausuren während des Studiums denken, bei denen es darum ging: Bekomme ich eine gute oder schlechte Note? Anders ist dies bei den Persönlichkeitstests. Sie wollen nicht bewerten. Ihre Intention ist es vielmehr zum Beispiel zu ermitteln, welche Einstellungen eine Person hat – also was motiviert sie, was nicht. Oder: Welche Verhaltenspräferenzen hat eine Person – also was fällt ihr leicht, was weniger leicht. Bewerten wollen die Tests diese Befunde aber nicht, weshalb die meisten Persönlichkeitstests oder genauer gesagt -analyseinstrumente wie zum Beispiel der Myers-Briggs®-Typenindikator oder das DiSG®-Persönlichkeitsprofil auch das Element Test nicht in ihrem Namen tragen.
Gemäß ihrem Anspruch, ein möglichst objektives Bild einer Person beziehungsweise ihrer Verhaltensweisen oder Einstellungen zu entwerfen, sind die Instrumente in der Regel auch konzipiert. Sie sind standardisiert. Das heißt, ihre Durchführung erfolgt nach festen Regeln. Und meist werden sie per Computer ausgewertet – auch um zu verhindern, dass in die Ergebnisse Interpretationen der auswertenden Personen einfließen.
Instrumente zur (Selbst-)Reflektion
Gerade weil diese Instrumente so scheinbar objektiv sind, schreiben ihnen viele Menschen eine hohe Aussagekraft zu. Doch faktisch sind alle Persönlichkeitstests nicht objektiv. Denn ihrer Konzeption und Auswertung legen Annahmen zugrunde. Hinzu kommt: Kein Test kann die Persönlichkeit eines Menschen zu 100 Prozent erfassen. Dafür ist diese zu komplex. Entsprechend wichtig ist es, dass die Personen, die mit anderen Personen solche Analysen durchführen und mit ihnen über deren Ergebnisse sprechen, wissen, wo deren Grenzen liegen. Sonst betrachten sie und die Personen, mit denen die Analysen durchgeführt wurden, deren Ergebnisse schnell als etwas, was diese nur bedingt sind: ein reales Abbild der betreffenden Person. Sie sehen nicht, was diese Instrumente faktisch sind: Anstöße zur Selbstreflektion.
Sich der Grenzen besagter Instrumente bewusst zu sein, ist gerade bei deren Einsatz in der betrieblichen Praxis wichtig. Denn dort geht es, anders als im therapeutischen Bereich, wo vielfach ähnlich konzipierte Diagnoseinstrumente eingesetzt werden, nicht darum, Menschen zu heilen oder krankhafte Persönlichkeitsmerkmale von ihnen zu verändern. Ein solches Ansinnen wäre im betrieblichen Kontext anmaßend. Das Ziel lautet vielmehr,
- Einstellungen sowie Verhaltensmuster von Menschen transparent und besprechbar zu machen und
- bei ihnen beruflich erforderliche Einstellungs- sowie Verhaltensveränderungsprozesse anzustoßen,
- um den Teilnehmern neue Entwicklungsperspektiven zu eröffnen.
Beispiel: DiSG®-Persönlichkeitsprofil
Wie der Einsatz solcher Test erfolgen kann, sei am Beispiel des DiSG®-Persönlichkeitsprofil illustriert, das zu den häufigsten genutzten Persönlichkeitsanalyseinstrumenten zählt. Deshalb sei dieser Test hier kurz beschrieben. Dem DiSG®-Persönlichkeitsprofil liegt die Annahme zugrunde, dass jeder Mensch im Verlauf seines Lebens gewisse Verhaltenspräferenzen entwickelt, in denen sich auch seine persönlichen Werte sowie Einstellungen widerspiegeln. Dabei lassen sich vier Grundtypen unterschieden, denen wiederum gewisse Verhaltens- und Kommunikationsmuster zugeordnet werden können. Diese Grundtypen werden mit den folgenden vier Adjektiven überschrieben, deren Anfangsbuchstaben zugleich den Namen DiSG® bilden:
- dominant
- initiativ
- stetig und
- gewissenhaft
- Typ D – dominant: Personen, die vor allem dem D-Typ entsprechen, sind entscheidungsstark, durchsetzungsfähig sowie risikobereit. Außerdem sind sie konsequent im Handeln und direkt in der Kommunikation. Sie wirken auf andere Menschen oft (leicht) autoritär auf und übernehmen in Gruppen und Beziehungen gerne das Kommando.
- Typ I – initiativ: I-Typen gelten als teamfähig und kommunikativ. Sie knüpfen gerne Kontakte und pflegen diese. Sie sind begeisterungsfähig und können andere mitreißen. Außerdem zeichnen sich durch Optimismus und eine Vielzahl von Interessen aus.
- Typ S – stetig: Personen des Typen S gelten als hilfsbereit; des Weiteren als wert-konservativ. Sie zeichnen sich zudem durch Ausdauer und Geduld aus, weshalb sie oft auch in ihrem Fachgebiet ein sehr hohes (Detail-)Wissen sowie Können haben. Gewohnheiten und Routinen vermitteln ihnen Sicherheit und sind ihnen wichtig.
- Typ G – gewissenhaft: G-Personen sind sehr qualitätsbewusst und streben nach Perfektion. Sie konzentrieren sich auf Fakten und hinterfragen und analysieren Dinge zunächst kritisch, bevor sie sich entscheiden.
- Welche Stärken hat eine Person?
- Welche Aufgaben liegen ihr?
- Welchen Arbeits- und Kommunikationsstil bevorzugt sie?
- Welches (Arbeits-)Umfeld benötigt sie, um sich optimal zu entfalten?
- Was sollten Kollegen tun, um mit dieser Person optimal zu kooperieren?
- Welche Konfliktpotentiale gibt es (in der Zusammenarbeit mit anderen Menschen) und wie lassen sich diese im Vorfeld reduzieren?
Wie mit Persönlichkeitsprofilen im betrieblichen Kontext gearbeitet werden kann, sei an zwei Beispielen beschrieben. Angenommen eine Führungskraft möchte mit einer Nachwuchskraft über deren künftige Laufbahn und Entwicklung sprechen. Aufgrund ihrer Beobachtungen und Erfahrungen ist die Führungskraft aber noch unsicher, ob sich die Nachwuchskraft eher für die Fach- oder Führungslaufbahn eignet. Sie weiß aber: Die Nachwuchskraft präferiert die Führungslaufbahn. Sie weiß zudem: Wenn ich versuche, aufgrund bestimmter Verhaltensweisen, die ich bemerkt habe, zu begründen, warum ich unsicher bin, ob die Führungslaufbahn das Richtige ist, dann wird das Gespräch im Chaos münden. Denn dann wird die Nachwuchskraft, wenn ich zum Beispiel schildere, was ich beobachtet habe, sofort erwidern: „Ja, aber ...“. Das heißt, die Nachwuchskraft wird sich rechtfertigen – wie dies die meisten Menschen in vergleichbaren Situationen tun. Und eine Folge des Gesprächs wird vermutlich sein: Die Nachwuchskraft ist sauer, weil ich sie in ihren Augen so schlecht beurteile.
In solchen Situationen kann es hilfreich sein, zunächst ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen, das nicht nur beschreibt, welche Verhaltenspräferenzen eine Person hat, sondern diese auch visualisiert. Denn wenn ein solches Profil vorliegt, kann eine Einstiegsfrage in das Gespräch der Führungskraft zum Beispiel lauten: „Erkennen Sie sich in dem Profil wider?“ Der Gesprächseinsteig erfolgt also nicht über Beobachtungen der Führungskraft, sondern über ein neutrales Medium. Deshalb fällt es der Nachwuchskraft leichter beispielsweise zu sagen: „Ja, ich denke auch, dass meine Fähigkeit, Dinge exakt zu durchdenken und auszuarbeiten sehr ausgeprägt ist, während es mit schwerer fällt, anderen Menschen zu vermitteln, warum gewisse Dinge nötig sind.“ Und die Führungskraft kann dann irgendwann im weiteren Verlauf des Gesprächs sagen: „Ihre Einschätzung deckt sich mit gewissen Beobachtungen, die ich in den letzten zwei Jahren gemacht habe. So fiel mir zum Beispiel auf, dass ...“
Wichtiges Ziel: Eine Gesprächsgrundlage schaffen
Das heißt, mit einem solchen Profil werden bessere Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Verhaltensmuster und -weisen, die ihre Wurzeln auch in der Persönlichkeit haben, zum Beispiel in Personalentwicklungsgesprächen besprochen werden können. Dies ist insbesondere dann oft hilfreich, wenn eine oder beide beteiligte Personen einen eher technischen oder kaufmännischen Background haben. Dann fehlt ihnen häufig nicht nur die Erfahrung, über intrapersonale Dinge zu sprechen, ihnen fehlt auch eine passende Terminologe, um Punkte, die auch die Persönlichkeit eines Menschen betreffen, so zu formulieren, dass die Botschaften beim Gegenüber so ankommen, dass keine emotionalen Verletzungen entstehen.
Ist beispielsweise mit Hilfe des Persönlichkeitsprofils die Basis geschaffen, auch über die persönlichen Stärken und Schwächen oder Verhaltenspräferenzen zu sprechen, kann in der Regel auch leicht, das Gespräch irgendwann zu den Fragen übergeleitet werden: „Was bedeutet dies nun für Ihre künftige Entwicklung in unserem Unternehmen?“ „Sollten Sie eventuell statt der Führungslaufbahn die Spezialisten- oder Projektlaufbahn einschlagen?“ „In welche Bereichen würden Sie noch Unterstützung benötigen, wenn Sie Führungskraft würden?“
Die Teamarbeit verbessern
Zweitens Beispiel. Angenommen in einem Projekt- oder Arbeitsteam steckt der Wurm. Immer wieder kommt es zu Reibereien, die dazu führen, dass das Team nicht so effektiv wie nötig arbeitet. Dann kann der Projekt- oder Teamleiter immer wieder Troubleshooter spielen. Er kann aber auch hingehen und sagen: „Leute, wir haben in den letzten Monaten immer wieder darüber gesprochen, warum es in unserem Team nicht läuft. Und trotz aller Absprachen, die wir trafen, ist – wie auch Ihr merkt – keine nachhaltige Verbesserung spürbar. Lasst uns einmal in einem Workshop zusammensetzen und schauen, woran das liegt.“
In dem Workshop könnte die Führungskraft erneut direkt die Defizite ansprechen, die sie registriert. Vermutlich mit geringem Erfolg! Denn das hat sie ja in der Vergangenheit schon mehrfach getan. Sie kann zu den Teammitgliedern aber auch vorab sagen: „Leute, lasst uns vor dem Workshop einmal Persönlichkeitsprofile von uns erstellen. Vielleicht kommen wir so der Sache auf den Grund, warum es in unserer Zusammenarbeit hakt.“ Dabei sollte jedoch beachtet werden: Ein Workshop, in dem anhand von Persönlichkeitsprofilen über die Zusammensetzung und -arbeit eines Teams gesprochen wird, sollte in der Regel von einer neutralen Person moderiert werden. Denn der Teamleiter ist selbst ein Teil des Teams und somit auch ein möglicher Teil der Ursache des Problems.
Liegen die Profile vor, kann der Moderator im Workshop zum Beispiel mit folgenden Worten in deren Besprechung einsteigen: „Wenn ich mir die Profile anschaue, fällt mir auf, dass ... Deckt sich das mit Ihrer Beobachtung ....“ Das heißt, auch hier können DiSG®-Persönlichkeitsprofile als Instrument genutzt werden, um die Zusammensetzung eines Teams und möglichen Konflikte, die hieraus resultieren, transparent und besprechbar zu machen – und zwar so, dass sich die Teammitglieder nicht wechselseitig zerfleischen und Narben zurückbleiben, die die künftige Zusammenarbeit eher behindern als fördern.
Kennzeichnend für beide Praxisbeispiele ist: In ihnen werden die in den Persönlichkeitsprofilen enthaltenen Aussagen unabhängig von ihrer realen Aussagekraft nicht als unumstößlich Fakten präsentiert. Die Personen werden also nicht in Schubladen gesteckt, aus denen es kein Entrinnen mehr gibt. Vielmehr werden die Profile genutzt, um gewisse Verhaltensmuster und -weisen nebst ihren Ursachen sichtbar – und was besonders wichtig ist – besprechbar zu machen. Denn nur dann können aus den Erkenntnissen auch die erforderlichen Schlüsse gezogen werden, die Einzelpersonen, aber auch Teams neue Entwicklungsperspektiven eröffnen.
Die Persönlichkeitsprofile können aber auch genutzt werden, um zu evaluieren: Was hat sich verändert? Zum Beispiel, indem man einige Monate nach dem ersten Gespräch oder Workshop erneut DiSG®-Persönlichkeitsprofile erstellt und sich fragt: „Inwieweit haben sich die Profile seit dem letzten Mal, als wir über das Thema sprachen, verändert?“ „Deckt sich dies mit der Erfahrung, die Sie (beziehungsweise wir) im Alltag sammeln?“ Persönlichkeitsprofile sind also nicht nur ein Instrument, um Entwicklungsprozesse anzustoßen. Sie sind auch ein Instrument, um solche Prozesse auf der Mitarbeiter- und Teamebene zu evaluieren und zu steuern.
QUERVERWEIS
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ZUM AUTOR
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Julia Voss ist Geschäftsführerin der Voss+Partner GmbH, Hamburg. Das Trainings- und Beratungsunternehmen unterstützt seit über 30 Jahren Unternehmen beim Initiieren und Umsetzen von organisationalen Veränderungen. Außerdem vermittelt Voss+Partner Führungskräften das erforderliche Wissen und Können, um ihre Funktion in ihrer Organisation professionell wahrzunehmen.
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