Pressemitteilung, 27.06.2006 - 15:44 Uhr
Perspektive Mittelstand
„Der Gesetzgeber hat die Welt auf den Kopf gestellt“ – Staat verteidigt Wettmonopol mit Zähnen und Klauen
(PM) , 27.06.2006 - Bonn/Hohenheim – Die Wirtschaft profitiert in unterschiedlichem Maß von der Fußball-Weltmeisterschaft. Experten gehen davon aus, dass insgesamt kein „großes Geschäft“ mit ihr zu machen ist. Doch bestimmte Branchen können durchaus auf eine sehr gute Geschäftsentwicklung während der WM verweisen, zum Beispiel die Anbieter von Sportwetten. „Wir rechnen mit spürbaren Zuwächsen“, zitiert die tageszeitung www.taz.de den Sprecher von Sportwetten Gera www.sportwetten-gera.de, Jan Wabst. Vor allem über das Internet hätten schon sehr viele Menschen mitgewettet. Auch das Glücksspielunternehmen Betandwin www.betandwin.de erwartet laut Spiegel www.spiegel.de rund 100.000 neue Kunden und hat seine Werbeausgaben in diesem Jahr auf 56 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Bis Ende 2007 soll der Sportwettenmarkt in Deutschland neu geordnet werden, und die Bundesländer tun alles, um ihr bisheriges Monopol zu verteidigen. Dabei steht nicht allein die Suchtprävention im Vordergrund, so die taz-Autorin Gesa Schölgens: „Die Länder bekämpfen die privaten Wettanbieter aber nicht nur, um ihre Bürger vor Spielsucht zu schützen, sondern auch, weil sie am Staatsmonopol kräftig mitverdienen: Jedes Jahr fließen etwa fünf Milliarden Euro an Steuern, Abgaben und Gewinnausschüttungen in ihre Kassen.“ Dass die Ministerpräsidenten willens sind, das staatliche Monopol mit Zähnen und Klauen zu verteidigen, stößt beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) www.dfb.de und beim Ligaverband (DFL) www.dfl.de auf Unverständnis. „DFB und Liga nehmen den Beschluss der Regierungschefs zur Umsetzung der Sportwetten-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes mit großer Verwunderung und Sorge zur Kenntnis“, ließen der Geschäftsführende DFB-Präsident Theo Zwanziger und der Präsident des Ligaverbandes Werner Hackmann verlauten. Der Fußball in Deutschland habe eine grundsätzlich andere Auffassung zur Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 28. März 2006. Statt ausschließlich auf das staatliche Monopol zu setzen, sei nach Ansicht von DFB und Liga „eine begrenzte Konzessionierung der bessere Weg“. Auf diese Weise sei die Eindämmung und Kanalisierung von Spielsucht ebenso wie die wirtschaftliche Unterstützung der Sportverbände gesichert. Zwanziger und Hackmann kritisierten die „Einseitigkeit und Kompromisslosigkeit“ des Ministerpräsidenten-Beschlusses: „Die Werbung für Sportwetten auf allen Ebenen zu verbieten, zugleich aber Werbemöglichkeiten für andere Wettarten mit ungleich höherer Suchtgefahr, wie zum Beispiel Spielbanken und Lotto zuzulassen, ist pure Heuchelei“. Falls die Pläne der Länder-Regenten Wirklichkeit würden, drohe den Vereinen und der Liga eine wirtschaftliche Enteignung. Im Gespräch mit dem Magazin NeueNachricht (Sommerausgabe) www.ne-na.de warf Helmut Sürtenich, Vorstandschef der Stratega-Ost Beteiligungs AG www.stratega-ost.de, den „selbst ernannten Moralhütern in der Politik eine massive Desinformationskampagne gegen die privaten Betreiber“ von Sportwetten vor. Sürtenich rechnet fest mit einer maßvollen Öffnung des Marktes, da Abschottung nur für eine begrenzte Zeit funktioniere: „Die internationale Konkurrenz und das Internet sind die wichtigsten Verbündeten derjenigen, die sich für eine Liberalisierung stark machen. Sportwetten sind eine ganz normale Dienstleistung mit einem enormen Potenzial für Deutschland. Die angelsächsischen Länder sind uns bei den Dienstleistungen ja bekanntlich einen Schritt voraus. Das gilt auch für die Wettszene. So lange es Menschen auf dieser Erde gibt, wird es auch diverse Süchte geben. Sie Sucht nach Arbeit, nach Sex, nach Alkohol und Drogen oder eben die Spielsucht. Daran kann man auch mit Verboten nicht ändern. Doch die Mehrzahl der Bürger ist in der Lage, mit Arbeit, Alkohol, dem eigenen Liebesleben und dem ‚Spieltrieb’ verantwortungsbewusst umzugehen.“ Tilman Becker, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim, ist der Ansicht, dass sich die Politik zwischen den Modellen Monopol und Liberalisierung entscheiden müsse. Gegenüber der bwWoche www.bw-woche.de kritisierte Becker die unterschiedliche Regulierung der Spielsucht in Deutschland: „Lotto ist sehr hoch reguliert, hier gibt es ein staatliches Monopol. Automaten sind nur gering reguliert. Doch in Wirklichkeit stammen aus diesem Bereich etwa 80 bis 90 Prozent der Spielsüchtigen. Der Gesetzgeber hat hier die Welt auf den Kopf gestellt“.