Fachartikel, 14.11.2007
Perspektive Mittelstand
IT-Recht
Das neue Telekommunikationsüberwachungsrecht und seine Folgen
Am 9. November 2007 hat der Deutsche Bundestag ein Gesetz zur Novellierung des Telekommunikationsüberwachungsrechts verabschiedet. Ziel der Novelle ist es, die Kraft Verfassung gebotene effektive Strafverfolgung so grundrechtsschonend wie möglich zu gewährleisten.
Im Zuge der novellierten Gesetzgebung wird eine Telefonüberwachung künftig nur noch bei schweren Straftaten zulässig sein, und damit bei all jenen Straftaten, die im Höchstmaß grundsätzlich mit mindestens fünf Jahren Haft bedroht sind. Die Entscheidung über den Einsatz verdeckter Ermittlungsmaßnahmen treffen weiterhin die Gerichte. In Falle dessen, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung betroffen wäre, ist eine Telefonüberwachung von vornherein verboten. Zudem sorgen verfahrenssichernde Regelungen wie beispielsweise Benachrichtigungspflichten, einheitliche Löschungsregelungen und ein umfassender nachträglicher Rechtsschutz für so viel Grundrechtsschutz wie noch nie zuvor im Bereich der heimlichen Ermittlungsmaßnahmen.

Änderungen beim Straftatenkatalog

Der Katalog der Straftaten, zu deren Aufklärung eine Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO angeordnet werden kann, wird grundsätzlich auf schwere Straftaten begrenzt: Straftaten, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, wie beispielsweise

  • Verstöße gegen das Waffenrecht
  • Anstiftung/Beihilfe zur Fahnenflucht durch Nicht-Soldaten
  • Verstöße gegen das Vereinsgesetz

werden aus dem Katalog gestrichen. Neu hingegen in den Katalog aufgenommen werden schwere Straftaten aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität wie beispielsweise Korruptionsdelikte, schwere Steuerdelikte (z.B. der gewerbs- oder bandenmäßige Schmuggel), gewerbs- oder bandenmäßiger Betrug oder Urkundenfälschung sowie alle Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch, mithin Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, alle Menschenhandelsdelikte ebenso wie jede Form der Verbreitung von Kinderpornographie.

Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung

Der Gesetzestext enthält bei der Telekommunikationsüberwachung ein ausdrückliches Erhebungs- und Verwertungsverbot für Kommunikationsinhalte aus diesem intimsten Bereich. Das heißt: Selbst mit dem Ziel der Aufklärung schwerster Straftaten, darf in den Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht eingegriffen werden. Wenn also in einem Telefonat über innerste Gefühle oder höchstpersönliche Überlegungen gesprochen wird, ist die Überwachung des Telefonats unzulässig. Wird das Gespräch trotz eines solche Tatbestandes abgehört, dürfen daraus gewonnene Informationen keinesfalls in einem Strafverfahren verwertet werden.

Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen bei allen Ermittlungsmaßnahmen

Für Personen, die als Berufsgeheimnisträger nach § 53 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, gilt:

  • Das Zeugnisverweigerungsrecht in der Vernehmung bleibt unverändert.
  • Der Schutz der Berufsgeheimnisträger (z.B. Ärzte, Journalisten, Rechtsanwälte) wird künftig auf alle Ermittlungsmaßnahmen erstreckt, nicht wie bisher nur auf einzelne Maßnahmen. Allerdings werden Rechtsanwälte nicht umfassend vor Überwachung geschützt.

Bisherige Schutzvorschriften wie die Beschlagnahmeverbote (§ 97 StPO) oder das Verbot der Wohnraumüberwachung bei Berufsgeheimnisträgern (§ 100c Abs. 6 StPO) bleiben uneingeschränkt bestehen.

Abgeordnete, Strafverteidiger ebenso wie Seelsorger werden aufgrund ihrer verfassungsrechtlich besonderen Stellung durch umfassende Erhebungs- und Verwertungsverbote bei allen Ermittlungsmaßnahmen besonders geschützt: Sie werden von allen strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die ihnen in dieser Eigenschaft anvertrauten Informationen und die Umstände der Informationsübermittlung beziehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte dies mit Hinweis auf die Menschenwürde und den in ihr begründeten Kernbereich privater Lebensgestaltung für Gespräche Seelsorgern und Verteidigern gefordert. Für Abgeordnete soll dieser absolute Schutz ebenfalls notwendig sein, denn sie werden um der Funktionsfähigkeit des Parlaments willen schon durch das Grundgesetz besonders geschützt (Immunität, Zeugnisverweigerungsrecht, Beschlagnahmeschutz).

Darüber hinaus jedoch auch alle anderen Berufsgeheimnisträger (z.B. Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten) generell von jeder Ermittlungsmaßnahme auszunehmen, ist nach dem Verständnis der Bundesregierung weder verfassungsrechtlich geboten, noch vertretbar, da Erhebungs- und Verwertungsverbote die Wahrheitsfindung empfindlich beeinträchtigen. So stünde es dem Gesetzgeber nicht frei, ohne hinreichenden Grund einzelne Berufsgruppen von Ermittlungsmaßnahmen auszunehmen. Ein genereller Vorrang der Interessen der Berufsgeheimnisträger vor dem Strafverfolgungsinteresse sei verfassungsrechtlich nicht begründbar. Ermittlungsmöglichkeiten zur Erforschung des wahren Sachverhalts dürften daher nicht zu sehr eingeschränkt werden, weil ansonsten eine effektive Strafverfolgung, die ihrerseits verfassungsrechtlich geboten ist, erschwert oder unmöglich würde. Nur eine möglichst umfassende Wahrheitsermittlung sichert die Feststellung der Schuld des Schuldigen und die Feststellung der Unschuld des Unschuldigen. Deshalb bedürfe es hier einer sorgfältigen Abwägung der durch das Berufsgeheimnis geschützten Interessen mit den Erfordernissen einer effektiven Strafverfolgung, die im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger verfassungsrechtlich geboten ist.

Sowohl die Beziehung zwischen Patient und Arzt als auch zwischen Mandant und Rechtsanwalt bedarf jedoch des besonderen Vertrauensschutzes, der sich sogar in einer berufsrechtlichen Schweigepflicht widerspiegelt. Das Vertrauensverhältnis zwischen einem Rechtsanwalt und dem Mandanten ist nicht teilbar und kann nicht von der ausgeübten anwaltlichen Tätigkeit abhängig gemacht werden. Entsprechend lehnt auch die deutsche Ärzteschaft die Beeinträchtigung des besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Medizinern geschlossen ab. In diesem Kontext muss es sehr verwundern, dass Abgeordnete sich selbst für schützenswerter halten, als rechtsratsuchende Bürger.

Zwar bedarf die Entscheidung, ob eine Observierung gegen einen Berufsgeheimnisträger durchgeführt oder auch die erlangten Erkenntnisse zu Beweiszwecken im Strafverfahren verwendet werden dürfen, in jedem Einzelfall einer sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung, bei der die Grundrechte des Berufgeheimnisträgers einerseits sowie die Schwere der aufzuklärenden Straftat andererseits gegeneinander abzuwägen sind. Gleichzeitig schweben dem Gesetzgeber jedoch auch Konstellationen vor, in denen die Grundrechte des Berufgeheimnisträgers zurücktreten müssten, wie beispielsweise schon allein ein Totschlag, wie er auch im Straßenverkehr passieren kann – ebenso wie natürlich auch die obligatorisch überall lauernde Bildung einer terroristischen Vereinigung. Schwer vorstellbar, wie dann die Bundesregierung im Ausland glaubwürdig für Grundrechte eintreten will.

Besteht gegen einen Berufsgeheimnisträger selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, so können bereits nach geltendem Recht zum Beispiel Unterlagen bei ihm beschlagnahmt werden, wenn ohne die Unterlagen die Aufklärung der Straftat aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre und die Beschlagnahme unter Berücksichtigung der Grundrechte des Berufgeheimnisträgers nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht. Dabei soll es bleiben, allerdings unter zusätzlich erschwerten Bedingungen: Es müssen bestimmte (konkrete) Tatsachen vorliegen, auf die sich der Verstrickungsverdacht begründet.

Berichtet ein Journalist beispielsweise über einen Bankraub und veröffentlicht dabei Informationen, die darauf hindeuten, dass er weiß, wer der Täter ist, so kann die Strafverfolgungsbehörde nach geltendem Recht auf den bloßen Verdacht hin, der Journalist könnte an der Tat beteiligt sein, selbst wenn sich dieser auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft, im Rahmen des Ermittlungsverfahren gegen den mutmaßlichen Bankräuber eine Durchsuchung beim Journalisten vornehmen und dabei Beweisunterlagen beschlagnahmen – trotz der Berufung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht. Künftig soll das nur noch möglich sein, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass der Journalist in den Bankraub verstrickt ist (z. B. an diesem beteiligt war oder sich der Begünstigung strafbar gemacht hat).

Zum besonderen Schutz der Pressefreiheit setzen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen bei Medienmitarbeitern bei Verrat von Dienstgeheimnissen künftig zusätzlich voraus, dass die nach dem materiellen Strafrecht erforderliche Strafverfolgungsermächtigung der zuständigen obersten Behörde bereits erteilt wurde – und zwar auch gegenüber dem Medienmitarbeiter. Zufallsfunde (Material, das auf eine Straftat hindeutet, aber nichts mit der Untersuchung zu tun hat, wegen derer eine Durchsuchung angeordnet wurde) bei Medienmitarbeitern dürfen nicht als Beweise in einem Verfahren wegen Geheimnisverrats oder wegen sonstiger Straftaten, die mit einem Höchstmaß von unter 5 Jahren Freiheitsstrafe bewehrt sind, verwertet werden. Für die Berufshelfer von Berufsgeheimnisträgern (z. B. Rechtsanwaltsgehilfen) soll derselbe Schutz gelten wie für den Zeugnisverweigerungsberechtigten selbst.

Verfahrenssicherungen bei verdeckten Ermittlungsmaßnahmen

Mittels einer Reihe von Verfahrenssicherungen soll der Grundrechtsschutz aller, die von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen betroffen sind, verbessert werden. Hierzu zählen der Richtervorbehalt bei allen eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahmen und die Konzentration der Zuständigkeit für die Anordnung einer Maßnahme beim Ermittlungsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft, um dessen größere Spezialisierung zu erreichen, umfassende, gerichtlich kontrollierte Benachrichtigungspflichten, die Einführung eines nachträglichen Rechtsschutzes bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen und die Einführung von einheitlichen Kennzeichnungs-, Verwendungs- und Löschungsregelungen.

ZUM AUTOR
Über Frank Richter
Kanzlei Richter
Frank Richter ist Rechtsanwalt und als Anwalt in den Bereichen Straßenverkehrsrecht, Pferderecht/ Tierrecht, Vereinsrecht/ Verbandsrecht, Strafrecht, Jugendstrafrecht, Strafprozessrecht, Betäubungsmittelrecht, Internetrecht und IT-Recht tätig. Zudem Rechtsanwalt Frank Richter als Schlichter gem. SchlG BW und Schiedsrichter tätig. Daneben hält Richter auch Vorträge zu diesen Themen für Käufer, Züchter, Vereine und Verbände.
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