Pressemitteilung, 02.04.2015 - 20:43 Uhr
Perspektive Mittelstand
CGRP Impfung gegen Migräne
CGRP gehört zu den am stärksten gefäßerweiternden Stoffen im Körper. Gleichzeitig geht die mit CGRP verbundene Gefäßerweiterung im Experiment mit Schmerzen einher.
(PM) Kiel, 02.04.2015 - Schon vor 75 Jahren konnte nachgewiesen werden, dass die großen arteriellen und venösen Blutgefässe in den Hirnhäuten schmerzempfindlich sind – anders als das Hirngewebe selbst. Vor 25 Jahren wurden dann Neuropeptide, d.h. aus Nervenfasern freigesetzte Eiweißstoffe, identifiziert, die die Weite dieser Blutgefäße regulieren. Eine dieser Sustanzen war CGRP (das calcitonin gene-related peptide). CGRP gehört zu den am stärksten gefäßerweiternden Stoffen im Körper. Gleichzeitig geht die mit CGRP verbundene Gefäßerweiterung im Experiment mit Schmerzen einher.Die entscheidende Bedeutung von CGRP in der Entstehung der Migräne zeigte sich, als man im venösen Blut von Patienten in Migräneattacken erhöhte CGRP-Spiegel fand, die sich nach Beendigung der Migräne durch Sumatriptangabe wieder normalisierten. Diese Beobachtungen wurden bestätigt, als man durch Infusion von CGRP bei Patienten Migräneattacken auslösen konnte. CGRP wird u.a. in Nervenfasern des N. trigeminus gebildet und freigesetzt, wenn diese in der Migräneattacke aktiviert werden (siehe Abbildung 1). Das freigesetzte CGRP bindet an CGRP-Rezeptoren in der Wand von Blutgefässen der Hirnhaut. Es kommt zur Blutgefäßerweiterung und gleichzeitig zur Sensibilisierung von Schmerzrezeptoren in der Blutgefäßwand. Das Pulsieren der erweiterten Blutgefäße wird zum Schmerzreiz, den die Patienten als pulsierend-hämmernden Migräneschmerz wahrnehmen, der sich bei jeder körperlichen Anstrengung, ja meist schon vom Bücken allein, verstärkt.Triptane binden an bestimmte Serotoninrezeptoren, die sich auf den Endigungen der Trigeminusfasern befinden und hemmen in der Migräneattacke die Freisetzung von CGRP. Es dauert noch einige Zeit, bis das bereits vorher ausgeschüttete CGRP abgebaut ist, die Blutgefässe sich wieder verengen und die Schmerzrezeptoren ihre normale (Un-)empfindlichkeit wiedererlangt haben. Dann ist für den Patienten zunächst die Migräne unterbrochen. Damit wird klar, dass auch Triptane umso schneller und stärker helfen, je früher man sie in der Attacke einnimmt und je weniger CGRP bereits ausgeschüttet wurde. Es wird jedoch auch verständlich, dass Triptane keineswegs Migräneattacken beenden. CGRP wird weiter gebildet, nur vorübergehend nicht freigesetzt. Das CGRP sammelt sich in den Trigeminusfasern an und wartet quasi nur darauf, dass die Triptane abgebaut sind. Die dann wieder mögliche und zum Teil massenhafte Freisetzung des CGRP führt bei den Patienten zum Wiederauftreten des Migräneschmerzes, dem sogenannten Wiederkehrkopfschmerz. Die erneute Einnahme eines Triptans ist dann meist wieder wirksam. Das ganze Spiel wiederholt sich solange, bis die Migräneattacke schließlich nach meist 4 bis 72 Stunden tatsächlich abklingt. Als Alternative zu den Triptanen waren vor einigen Jahren Medikamente getestet worden, die nicht die Freisetzung von CGRP blockierten, sondern den CGRP-Rezeptor. Das freigesetzte CGRP fand damit in Migräneattacken keinen Angriffspunkt. Diese CGRP-Rezeptorantagonisten waren ähnlich wirksam wie die Triptane, führten jedoch bedauerlicherweise bei regelmäßiger Einnahme in höheren Dosierungen zu einer Leberschädigung, so dass sie nie Marktreife erreichten.Die Einführung der Triptane war zweifelsohne ein entscheidender Fortschritt in der Migräneattackentherapie. Bislang ist es nicht gelungen, auch in der Vorbeugung der Migräne ähnlich erfolgreich zu sein. Keines der heute eingesetzten vorbeugenden Medikamente wurde gezielt zur Migränevorbeugung entwickelt. Alle Medikamente waren zunächst für andere Krankheitsbilder eingesetzt worden, z.B. die Betablocker zur Blutdruckbehandlung und haben ein mehr oder weniger ungünstiges Nutzen-Nebenwirkungs-Verhältnis. Dies soll sich zukünftig ändern und wieder spielt das CGRP eine entscheidende Rolle.Aktuell werden klinische Studien unter Beteiligung der Schmerzklinik Kiel durchgeführt, in denen monoklonale Antikörper zur Migränevorbeugung eingesetzt werden, die entweder das in Migräneattacken freigesetzte CGRP zerstören oder mit dem CGRP-Rezeptor dessen Angriffspunkt. Die Patienten werden gleichsam gegen Migräne passiv geimpft. Die Antikörper werden einmal im Monat unter die Haut injiziert. Die ersten Studienergebnisse sind vielsprechend -die Substanzen sind bei bislang guter Verträglichkeit deutlich wirksamer als Placebo. Was aber insbsondere für die Zukunft hoffen läßt, ist, dass in den veröffentlichten Phase-II-Studien eine kleine Gruppe von Patienten komplett migräneattackenfrei wurde. Es bleibt abzuwarten, ob die Ergebnisse sich bestätigen und vor allem von Dauer sind.


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Die Schmerzklinik Kiel wurde als wissenschaftliches Modellprojekt 1997 gegründet und beschritt mit dem Beginn der Patientenversorgung 1998 neue Wege in der Schmerztherapie. Der Behandlungsschwerpunkt zielt auf chronische neurologische Schmerzerkrankungen, insbesondere Migräne- und chronische Kopfschmerzen. Ziel der Klinik ist, das gesamte Wissen, das für die Versorgung von chronischen Schmerzen verfügbar ist, unmittelbar zur Anwendung zu bringen und hochspezialisiert die Belange von Menschen mit chronischen Schmerzen zu berücksichtigen. Auch der Erforschung von neurologischen Schmerzerkrankungen, Migräne und anderen Kopfschmerzen gilt die zentrale Aufmerksamkeit, um die zukünftige Behandlung weiter zu verbessern. Die externe wissenschaftliche Begleitforschung der Gesellschaft für Systemberatung im Gesundheitswesen GSbG bestätigte, dass mit dieser Konzeption Schmerzen nachhaltig gelindert, soziale und berufliche Tätigkeiten wieder aufgenommen und die direkten und indirekten Kosten chronischer Schmerzerkrankungen deutlich gesenkt werden können. In den vergangenen 10 Jahren wurden über 10 000 stationäre und über 50 000 ambulante Behandlungen durchgeführt. Mehr als 70% der behandelten Patientinnen und Patienten kommen überregional aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland. Das Konzept nahm moderne Entwicklungen in der Medizin voraus, insbesondere die integrierte Versorgung. Integrierte Versorgung (IV) bedeutet, dass die Behandlung nicht durch Fachgrenzen eingeschränkt wird. Auch die Abschottung von ambulanten und stationären Versorgungsbereichen wird aufgehoben. Experten der verschiedenen medizinischen Fachgebiete wirken zusammen, um mit zeitgemäßen Methoden optimal koordiniert zu behandeln. Die ambulante und stationäre Behandlung funktioniert nicht losgelöst nebeneinander, sondern ist vernetzt und aufeinander abgestimmt. Möglich ist dadurch eine Behandlung auf neuestem Stand und ohne Schranken. Das im Jahre 2007 mit der Techniker Krankenkasse initiierte Behandlungsnetzwerk greift diese Erfahrungen für die Behandlung von Migräne und Kopfschmerzen auf und nutzt sie bundesweit. Dazu wurde erstmals ein flächendeckendes koordiniertes Versorgungsnetzwerk geschaffen, um die Behandlungsqualität überregional zu verbessern. Die Schmerzklinik Kiel übernimmt dabei die Koordination des Netzwerkes, die umfassende Information der Patienten, die Fortbildung und den Erfahrungsaustausch der Therapeuten. Mit der AOK Schleswig-Holstein wurde eine landesweite koordinierte Versorgung entwickelt. Zahlreiche weitere regionale und überregionale Krankenkassen nutzen diese innovativen Versorgungskonzepte für ihre Versicherten.