Pressemitteilung, 14.03.2007 - 15:43 Uhr
Perspektive Mittelstand
Betonschutzwände als Sicherheitsrisiko auf Autobahnen - Verformbare Stahlplanken bessere Alternative
(PM) , 14.03.2007 - Von Gunnar Sohn Aachen/München, www.ne-na.de - Moderne Pkw haben eine steife Fahrgastzelle und weiche Knautschzonen. Passend dazu wurden nachgiebige Leitplanken aus Stahl aufgestellt. Straßenplaner ersetzen die Planken jedoch zunehmend durch harte Betonwände, um Kosten für Unfallreparaturen zu sparen. Unachtsame Autofahrer bezahlen dafür manchmal mit dem Leben, da die Betonwände mit breitem Fuß wie Sprungschanzen wirken. Das berichtet das Magazin NeueNachricht www.ne-na.de. Ein Schwachpunkt der Knautschzonen ist der seitliche Aufprall. Der verfügbare Deformationsweg ist nur gering. Wesentlich breitere Pkw wären nicht nur unpraktisch, sie hätten einen größeren Luftwiderstand und damit einen höheren Spritverbrauch. Seit Ende der fünfziger Jahre werden in Deutschland Stahlleitplanken aufgestellt, die den kurzen Verformungsweg beim seitlichen Aufprall verlängern. Die Konstruktion gibt sukzessive nach. Zunächst wird die Planke eingedellt, danach löst sie sich von den Pfosten, die umgebogen werden. Das an der Planke entlangschlitternde Fahrzeug wird dabei abgebremst, die verformte Planke wirkt wie ein Halteseil mit flexibler Auslenkung. Wie viel Aufprallenergie die Stahlkonstruktion aufnimmt, hängt vom Einzelfall ab. Professor Henning Wallentowitz von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen beziffert den Anteil auf etwa 50 Prozent. Der Leiter des Instituts für Kraftfahrwesen www.ika.rwth-aachen.de und ehemalige Fahrzeugentwickler bei Daimler-Benz und BMW gilt als ausgewiesener Crash-Spezialist. Den Straßenbehörden auf Länderebene wird die stählerne Sicherheit allerdings zu teuer. Sie ersetzen die Leitplanken durch Betonschutzwände, vor allem an Autobahnen und zunehmend an Bundesstraßen. Ihr Argument lautet durchgängig, an Beton sei nach Unfällen weniger zu reparieren, die Unterhaltskosten daher geringer. Dass die am Fahrbahnrand verankerte Knautschzone damit ersatzlos gestrichen wird, kommt bei den Behörden nicht zur Sprache, da Unfalltote und -verletzte nicht zu ihren Kostenstellen gehören. Der Sicherheitsexperte Wallentowitz hat Vorbehalte gegen Betonschutzwände: „Gerade weil sich Beton nicht verformt, sind diese Wände für Autofahrer sehr gefährlich. Das Auto prallt wie ein Pingpong-Ball von der Wand ab, überschlägt sich vielleicht und wird wahrscheinlich auf eine der anderen Fahrspuren geschleudert, wo es auch andere Autos in den Unfall verwickelt“. Den beschriebenen Effekt musste eine Autofahrerin im Sommer 2006 auf der A46 nahe Düsseldorf mit dem Leben bezahlen. Auf ihren Wagen wirkte die Betonwand in der Autobahnmitte wie eine Sprungschanze. Der Pkw stieg an ihr hoch, überschlug sich und blieb schwer beschädigt liegen. Die Rettungskräfte konnten der Fahrerin nicht mehr helfen. An Hand der Anfahrspuren am Beton ließ sich der Unfall lediglich rekonstruieren. Derartige Anfahrspuren sind an Betonschutzwänden weit häufiger zu finden, als Unfälle gemeldet werden. Daraus folgt, dass sich viele Unfallfahrer mit Schrecken in den Gliedern aus dem Staub machen. Hier liegt für die Straßenbetreiber der eigentliche und unausgesprochene Nutzen: Unfallflüchtige verursachen an den beinharten Betonwänden nur geringe Schäden. Wer wirklich verunglückt, kann festgestellt und zur Kasse gebeten werden - im Todesfall immerhin die Versicherung des Fahrers. Das nüchterne Kostenkalkül, in dem die passive Sicherheit der Pkw-Fahrer offenbar eine untergeordnete Rolle spielt, greift um sich. Nordrhein-Westfalen ist der Vorreiter beim Betongießen. Auf diesen Autobahnen wird der Mittelstreifen betoniert: A52 bei Düsseldorf und Dortmund, A40 bei Mülheim und Moers, A57 bei Köln und Moers, A1 bei Euskirchen, A61 bei Bergheim und A45 bei Dortmund. Deutschlands größte Regionalzeitung, die Rheinische Post, titelte unlängst „Betonköpfe in NRW am Werk und fragte kritisch, wie in finanzknappen Zeiten noch Steuergeld für den Austausch der Leitplanken gegen Betonwälle ausgegeben werden könne. In ihrer Online-Umfrage sprachen sich über 70 Prozent der Leser klar für Stahlleitplanken aus www.rp-online.de/public/vote/vote/aktuelles/wirtschaft/news/3202. Auch in Hessen (A3) und rund um Stuttgart (u.a. A8) sind die Betonbauer auf dem Vormarsch. Auf der A1 soll zwischen Bremen und Hamburg der Mittelstreifen auf einer Länge von etwa 130 Kilometern betoniert werden. Auf das Sicherheitsrisiko für Pkw-Fahrer angesprochen argumentieren die zuständigen Bürokraten der Landesbehörden und der Wirtschaftsverband Beton auch gern mit der höheren Durchbruchsicherheit, die Beton für Lkw biete. Abgesehen davon, dass schwere Nutzfahrzeuge ohnehin meist den rechten Fahrstreifen nutzen, sind solche Ereignisse eher selten. So auch die Einschätzung des ADAC-Verkehrsexperten Thomas Hessling: „Solche Durchbrüche, etwa mit einem Tanklastzug, liegen bei der Gesamtzahl der Unfälle im Promille-Bereich“. Er schätze, dass mit der Zunahme der Betonschutzwände auch die Zahl der Unfalltoten steigen werde. Seit der konstruktiven Einführung der Knautschzone im Pkw hat die Automobilindustrie weiter an der passiven Sicherheit gearbeitet. Die seitlichen Säulen wurden gepolstert, die Türinnenflächen verkleidet und Seiten-Airbags werden angeboten. Das Hauptaugenmerk dient dem statistisch häufigeren Frontalaufprall. Gurtvorspanner, verstärkte Kopfstützen, versenkbare Lenksäule, Beifahrer-Airbag, Abstandsradar und die Entschärfung der Frontpartie für Fußgänger sollen Unfallverletzungen reduzieren. Lkw werden mit seitlichem Unterfahrschutz ausgerüstet und Reisebusse mit Sicherheitsgurten für die Fahrgäste. Weltweit arbeiten Ingenieure an der Fahrzeugsicherheit. Zahllose Pkw werden in Crash-Tests tatsächlich oder auch nur werbewirksam im Fernsehen verschrottet. Die passive Fahrzeugsicherheit wird den Verbrauchern aufwändig in Werbekampagnen vermittelt. „Die deutschen Straßenplaner sollten die Fortschritte bei der passiven Sicherheit nicht durch ihre Betonpolitik torpedieren. Das ist kurzsichtig und unverantwortlich“, kritisiert Autoexperte Uwe Röhrig, Inhaber des Hannoveraner Beratungsunternehmens International Car Concept (ICC) www.icconcept.de.