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Astralische Kräfte im Rindermist: Hessische Agrarforscher auf den Spuren von Rudolf Steiner - Biologisch-dynamischer Esoterik-Schabernack mit staatlichen Mitteln

(PM) , 04.09.2006 - Bonn/Kassel, www.ne-na.de - Der deutsche Wissenschaftsrat ist eine gefürchtete Institution. Er erstellt für seine Träger – die Regierungen auf Bundes- und Länderebene – Empfehlungen „zur inhaltlichen und strukturellen Entwicklung der Hochschulen, der Wissenschaft und der Forschung sowie des Hochschulbaus“. Seine Wissenschaftliche Kommission besteht aus 32 Mitgliedern, darunter 24 Forscher. Diese werden auf Vorschlag bedeutender Organisationen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) oder der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) vom Bundespräsidenten berufen. Jetzt steht der Wissenschaftsrat kurz vor Abschluss einer Evaluation der Agrarforschung in Deutschland. Im Juni 2006 hat man sich schon auf einige zentrale Aussagen verständigt. Auf der Sitzung des Rats am 10. November in Dresden soll der Abschlussbericht verabschiedet werden. Festgestellt wurde bereits, dass in den vergangenen Jahren die Agrarforschung an deutschen Universitäten abgebaut wurde und als Folge nur wenige international konkurrenzfähige Standorte übrig blieben. Die Regierungen von Bund und Ländern erwarten deshalb auch Empfehlungen, an welchen Hochschulen Agrarzentren gestärkt, besser vernetzt oder gar weniger berücksichtigt werden sollten. „Für die hessische Landesregierung stellt sich die Frage, welcher der beiden nordhessischen Forschungsstandorte, der an der Universität Gießen oder der in Kassel, zukunftsträchtiger ist. In Kassel dürfte man dies eher mit Sorge betrachten, denn während in Gießen an modernen Biotechnologien geforscht wird – erst im Frühjahr 2006 ist auf einem Versuchsgelände erstmals in Deutschland gentechnisch veränderte Gerste ausgesät worden – kümmert man sich in Kassel um ‚Ökologische Agrarwissenschaften’. Am Kasseler Uni-Standort Witzenhausen geht es zwar um populäre Fragen und ohne Zweifel gibt es in Deutschland auch sinnvolle ökologische Agrarforschung mit dem Ziel, einen nachhaltigen und effizienten Landbau zu ermöglichen“, schreibt der Frankfurter Wissenschaftsjournalist Thomas Deichmann in der Herbstausgabe der Zeitschrift NeueNachricht. Das erst vor einigen Monaten in Kassel-Witzenhausen ins Leben gerufene „Fachgebiet Biologisch-dynamische Landwirtschaft“ dürfte beim Wissenschaftsrat auf wenig Gegenliebe stoßen, denn mit einem modernen Verständnis von Naturwissenschaften sei diese Initiative schwerlich in Einklang zu bringen. „Hinter dem in Witzenhausen gehuldigten Begriff 'Biodynamik' steht nämlich unverblümt das esoterisch-okkulte Weltbild von Rudolf Steiner (1861–1925), dem Begründer der Anthroposophie. Als Leitbild des neuen Fachgebiets wurde ein Zitat von Steiner gewählt. Auf Grundlage seiner Lehren bemüht man sich nun, die landwirtschaftliche Praxis mit dem zu verbinden, 'was für unsere normalen fünf Sinne verborgen ist'. Entsprechend sind die Lehrinhalte und Forschungsprojekte ausgewählt worden. Sie widmen sich dem ‚Unsichtbaren’: Es geht um die ‚Mondrhythmen im Pflanzenwachstum’, eine Doktorandin beschäftigt sich mit der ‚Bildekräfteforschung’ (auch Lebens- oder Ätherkräfte genannt) mit übersinnlichen Methoden nach Dorian Schmidt. Über diesen anthroposophischen Methodenlehrer erfährt man in einem Essay zum Thema ‚Biogas’ in der Zeitschrift Lebendige Erde (4/2006), er habe ‚mit übersinnlichen Erkenntnismethoden’ gezeigt, ‚dass die astralischen Kräfte des Rindermistes bei der Vergärung aus dem Mist herausgetrieben werden.’ Zur ‚biologisch-dynamischen Landwirtschaft’ nach Steiner zählt auch das Vergraben von Kuhhörnern im Acker bei Vollmond“, so Deichmann. Die obskuren Wahnvorstellungen Steiners im Agrarbereich, denen man in Witzenhausen gerecht werden möchte, seien eingebettet in ein nicht minder sonderliches Weltbild. Danach vollzog sich die Menschheitsentwicklung nacheinander auf sieben „Planeten“. Laut Steiner gab es keine Evolution. Vielmehr bildeten sich irgendwann „Lemurier“ und „Atlantier“ heraus, und aus letztgenannten die „Arier“, zu denen der große Meister sich selbst und die kultivierten Westeuropäer zählte – nicht aber die „verkümmerten Menschen, deren Nachkommen heute noch als so genannte wilde Völker gewisse Teile der Welt bewohnen“. „Befremdlich erscheint es, dass derart vor-aufklärerisches Treiben auf Grundlage dubioser Hirngespinste eines Gurus mittlerweile an staatlichen Hochschulen beheimatet ist und von dort umso leichter seinen Weg in die einflussreiche deutsche Ökologisten-Szene findet. Die Hartnäckigkeit mit der hierzulande von Protestorganisationen die modernen Biowissenschaften bekämpft werden, scheint sich nicht zuletzt auch von der Nähe zumindest einiger dieser Vereine zum Steinerschen Fanatismus zu nähren“, kritisiert Deichmann. Die Evaluation der deutschen Agrarforschung durch den Wissenschaftsrat sollte nach Auffassung von Deichmann zum Anlass genommen werden, die genannten Zusammenhänge transparenter zu machen und damit zu klären, an welchen Fakultäten in Deutschland seriöse Agrarforschung und wo „biologisch-dynamischer“ Schabernack betrieben wird. Zum Autor: Thomas Deichmann ist freier Wissenschaftsjournalist und Chefredakteur der Zeitschrift Novo www.novo-magazin.de. Mit Detlev Ganten und Thilo Spahl ist von ihm zuletzt erschienen: Naturwissenschaft. Alles, was man wissen muss (München 2005). Im Herbst 2006 erscheinen bei dtv zwei neue Wissenschaftsbücher vom Autorengespann Deichmann/Spahl. Das Magazin NeueNachricht erscheint vierteljährlich. Das Einzelheft kostet 8,20 Euro. Bestellungen per Fax unter: 0228 – 620 44 75 oder E-Mail: baerbel.goddon@sohn.de. Redaktionen erhalten Besprechungsexemplare kostenlos.
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