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Wo bleibt Herkules? - Paul Kirchhof kämpft gegen die „Hydra“ des ausufernden Steuerstaats

(PM) , 17.10.2006 - Von Philip Plickert Ein international geachteter Wissenschaftler will seinem Land in einer schweren Krise dienen. Er tut dies aus staatsbürgerlicher Verantwortung, wird aber im Wahlkampf von linken „Spin-Doktoren“ in die „unsoziale“ Ecke gedrängt, als verrückter Professor verhöhnt und schließlich kaltgestellt. Seine Vorschläge für eine radikale Steuerreform werden öffentlich in derart verdrehter Weise diskutiert, dass sie auf breite Ablehnung stoßen. Der gut vierwöchige Ausflug des Paul Kirchhof in die Politik endete in einem Fiasko. Es blieb dem Heidelberger Juristen und ehemaligen Verfassungsrichter nur der Rückzug an seine Universität. Er gibt aber trotz dieser üblen Erfahrung nicht auf: In seinem gerade erschienen Buch „Das Gesetz der Hydra“ kämpft Kirchhof weiter, damit Deutschland aus seiner gegenwärtigen Lähmung herausfindet. In weiten Teilen ist Kirchhofs Streitschrift eine gelehrte rechtsphilosophische Abhandlung, mit mythologischen und märchenhaften Passagen sowie aktuellen politischen Bezügen. Sie erinnert den Leser an die Grundlagen freiheitlichen Denkens über den Rechtsstaat, der Ordnung schafft und Freiheit garantiert. Mit der „Hydra“ meint Kirchhof eine „Kultur der Maßlosigkeit“. Sie entgrenze den Staat, enthemme den Bürger und münde so in ein übermäßig reguliertes und letztlich unfreiheitliches, unsoziales Gemeinwesen, warnt Kirchhof. Allerdings ist das allegorische Bild der gefräßigen „Hydra“ eingängig. Doch streckenweise erscheint Kirchhofs Kritik so unbestimmt und dehnbar, dass sie ihre Kontur zu verlieren droht. Natürlich weckt Kirchhofs Buchtitel sofort Assoziationen. Der staatstheoretische Klassiker Thomas Hobbes sprach vom Staat als „Leviathan“: In einem impliziten Vertrag unterwerfe sich der Bürger der Autorität des Herrschers, er tausche Freiheit gegen Sicherheit. Der französische Sozialphilosoph Bertrand de Jouvenel beschrieb in „Du pouvoir“ die neuzeitliche Zentralgewalt als „Minotaurus“, der immer größere Opfer verlange. Während Hobbes den Leviathan ambivalent sah – eigentlich ist das in der Bibel beschriebene Wesen ein Chaos-Drache oder gar dem Teufel gleichzusetzen, zugleich aber überwindet er in Hobbes’ Sicht das Chaos – nahm Jouvenel eine prinzipiell staatsskeptische Haltung ein. Als Jurist, der über Jahre dem Staat diente, ist Kirchhof von einer grundsätzlich antietatistischen Position weit entfernt. Liberale werden an einigen Stellen den Kopf schütteln. Fragwürdig ist etwa seine Ablehnung des institutionellen Wettbewerbs zwischen Staaten, auf dem ja nach Eric L. Jones das „Europäische Wunder“ beruht. Was Kirchhof kritisiert, ist die Entartung des Staates zum Überstaat: „Die Macht des Staates wurde gerufen, damit wir in Freiheit leben, nicht damit wir unsere Freiheit verlieren.“ Der Rechtsstaat, der Handlungsfreiheit ermögliche, sei durch inflationäres Recht entwertet worden. Eine Flut von Normen und Ansprüchen, Restriktionen und Privilegien führe zu einer Flut von Streitigkeiten. Im wuchernden Gesetzesdschungel finde sich der Bürger immer weniger zurecht, nachlassende Gesetzestreue sei die Folge. Unter dem Einfluss der Interessengruppen (allein 1896 Verbände haben Zugang zu den Ausschüssen des Bundestags) verkomme die Demokratie, schreibt Kirchhof und warnt: „Der Bürger wird von einer staatsbürgerlichen Migräne infiziert, die lähmt und nach einer helfenden Macht rufen lässt.“ Im Zentrum des Menschenbilds des Grundgesetzes steht die unantastbare Würde. Es ist damit ein freiheitliches Bild vom Menschen, wird Kirchhof nicht müde zu betonen. Die „Hydra“ jedoch wolle uns glauben machen, wir seien stets hilfsbedürftig. Der betreuende, umsorgende Staat entwöhne den Bürger immer mehr der Freiheit, zugleich schwächt er die Kräfte der nichtstaatlichen Sozialinstitutionen. Als eine vorrangige Aufgabe zur Überwindung der gegenwärtigen Krise sieht Kirchhof eine Stärkung der Familien. Deren prekäre Lage führt er auf eine systematische Ausbeutung durch den „Sozial“- und Steuerstaat zurück, besonders über die umlagefinanzierte Rente. Der so genannte „Generationenvertrag“ erscheint als Generationenbetrug: Während die Kosten des Nachwuchses privat sind, wird der „Nutzen“ sozialisiert. Allgemein sei die Erziehungsleistung von Müttern und Vätern wieder als essenziell für die Gesellschaft zu honorieren – auch materiell, etwa durch höhere Anrechnung bei der Rente. Kirchhof sieht die Erhöhung der Mehrwertsteuer kritisch, da sie kinderreiche Familien übermäßig belaste. Um diesen auch politisch wieder mehr Gehör zu verschaffen, plädiert er für ein Kinderwahlrecht, das bis zur Volljährigkeit die Eltern ausüben sollen. Das „Drama der sterbenden Gesellschaft“, so Kirchhof, kann nur ein umfassender gesellschaftlicher Mentalitätswechsel stoppen. Kirchhofs einfühlsame Argumentation zum Wert der familiären Gemeinschaft im Kapitel „Ein Weg vom Ich zum Wir“ gehört zu den besten Seiten des Buches. Im heutigen Unwillen zum Kind drückt sich demnach eine erschreckende Lebensdistanz aus. „Wir Deutschen sind zukunftsvergessen, vernachlässigen unser elementares Anliegen, unsere Zukunft in unseren Kindern zu sichern, in ihnen ein Stück von uns selbst weiterzugeben.“ Doch wer oder was genau ist denn die „Hydra“, die den „Infekt der Selbstzerstörung“ verbreitet, indem sie immer mehr Menschen allein zu Erwerb und Gewinn anstachelt und damit langfristig die humanen Grundlagen der Wirtschaft angreift? Hier steht das Ungeheuer offenbar allegorisch für einen Zeitgeist, der Karriere über Kinder stellt: Mehr als zwei Drittel der vierzigjährigen Publizisten seien kinderlos, behauptet Kirchhof: „Ihre Lebenssicht entwickelt sich ohne Kinder.“ Dazu kommt aber ein fataler Staatsgeist, der der Gesellschaft den Überlebenswillen austreibt. Kirchhof verweist auf Montesquieus Studie zum Untergang des Römischen Reichs: Schon der damalige Wohlfahrtsstaat zerstörte die Grundlagen des Gemeinwesens, indem er anstrengungslose Einkommen versprach, den Fleiß der Bürger verkümmern und ihnen die Sicherheit der Familie entbehrlich scheinen ließ. Um die bürgerliche Gesellschaft zu reaktivieren, empfiehlt Kirchhof daher mehr Freiheit und mehr Verantwortung. Wenn er zugleich „mehr Netto“ für die Familien fordert, dann nicht als Subvention, sondern als Ende der bisherigen Benachteiligung. Das aberwitzige deutsche Steuerrecht ist das große Thema, auf das alles in Kirchhofs Buch hinsteuert: „Der Steuerpflichtige braucht grundrechtlichen Schutz gegen ein Belastungsübermaß, gegen eine ungleiche Last und gegen eine freiheitsbeengende Lenkung“, lautet seine Maxime. Den undurchdringlichen Dschungel der 50.000 Steuerparagraphen will er durchforsten und radikal vereinfachen. Klarheit und Einfachheit sind Merkmale eines effizienten und gerechten Systems, meint Kirchhof. Sein Vorschlag ist ein linearer Tarif von 25 Prozent bei Abschaffung aller Ausnahmen und Freistellung eines hohen Existenzminimums. Die Bemessungsgrundlage würde verbreitert, die Grenzbelastung ermäßigt. Für Kirchhof ist unbestritten, dass ein solches reformiertes System der lahmenden Wirtschaft neue Leistungsanreize setzt. Im Wahlkampf wurde das Modell als extrem „unsozial“ niedergebügelt. Das sachlich falsche Argument, bei einer „flat tax“ zahle jeder, der Millionär wie der Angestellte, „das Gleiche“, würgte die Diskussion ab. Allerdings ist beim gegenwärtigen Wirrwarr der 36 Einzelsteuern, der unzähligen Schlupflöcher und Subventionen überhaupt nicht mehr klar, wer überhaupt Nettozahler, wer Nettoempfänger ist. So rechnet sich der Millionär mit gewieftem Berater gegenüber dem Fiskus ganz arm, der Angestellte hat dagegen kaum Möglichkeiten, der Steuerlast zu entkommen. Besonders unsozial erscheint die seit dreißig Jahren steigende Staatsverschuldung, die jetzt schon 1,5 Billionen Euro (also 1,5 Millionen Euro) beträgt, von der impliziten Verschuldung der umlagefinanzierten Sozialsysteme ganz zu schweigen: Um Konsum und Wohlfahrt heute zu finanzieren, werden erdrückende Lasten den zahlenmäßig geschwächten kommenden Generationen aufgebürdet. Die „Hydra“ des Steuerstaates erhebt weiterhin ihre Köpfe. Nach nur vier Wochen in der Politik musste Kirchhof sich geschlagen geben. Der Heidelberger Jurist war nicht Herkules, der den Kampf mit dem Ungeheuer bestehen konnte. Diese Aufgabe weist er nun uns allen zu. „Herakles sind wir. Liegt nicht in der Sonne und wartet auf Helden“, lautet der letzte Satz seiner Streitschrift. Diesem hoffnungsvollen Schluss stehen aber die Erkenntnisse der „Public Choice“-Theorie und die Erfahrung der letzten Bundestagswahl entgegen: Trotz der existentiellen Krise wünschen die Wähler keine radikale Kehrtwende. Sie schätzen die Einbuße gegenwärtiger Besitzstände höher ein als die Aussicht auf künftige Gewinne im „Garten der Freiheit“, von dem Kirchhof kündet. Vielleicht wäre es also realistischer zu sagen: „Die Hydra, das sind wir alle.“ Paul Kirchhof: Das Gesetz der Hydra. Gebt den Bürgern ihren Staat zurück, Droemer Verlag, München 2006, 384 Seiten, 19,90 Euro
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