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Wie grau ist alle Theorie – Christina von Hodenberg sortiert die bundesrepublikanischen Journalisten in Schubladen

(PM) , 29.06.2006 - Von Ansgar Lange Bonn/Göttingen – Mit den Theorien ist es so eine Sache. Manche sind sehr anspruchsvoll, andere banal, einige schlicht langweilig. Doch eins haben die meisten Theorien gemein: Mit der Wirklichkeit kommen sie selten in Berührung. Ein (deutscher) Wissenschaftler steckt daher in einem Dilemma. Will er auf der akademischen Leiter nach oben klettern, muss er den häufig recht drögen Theoriestoff hin und her wenden. Ansonsten akzeptieren ihn die anderen Vertreter der Zunft nicht. In der akademischen Welt sind Theorien vergleichbar mit den Deutschlandfahnen, die jetzt überall anlässlich der WM ans Haus oder Auto geheftet werden: Hat man keine, macht man sich verdächtig. An diese Zusammenhänge musste der Rezensent denken, als er Christina von Hodenbergs Habilitationsschrift „Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945-1973“ aufschlug. Das sehr gut geschriebene Werk ist im Göttinger Wallstein-Verlag www.wallstein-verlag.de erschienen. Man sollte dieses Buch als riesigen Steinbruch und fleißige Materialsammlung nutzen, den theoretischen Teil und die Versessenheit auf bestimmte Thesen aber getrost ausblenden. Es sei denn, man ist ein Thesen- und Theorien-Fetischist. In einer sehr negativen Besprechung im Deutschlandfunk www.dradio.de war zu hören, „Begriffe und Ideen“ gingen in von Hodenbergs Buch als „beliebig zusammengeklaubte Steinchen im bunten Generationenmosaik der Namen und Geburtsdaten auf“. So ganz daneben liegt diese Deutung nicht, auch wenn die Kritik insgesamt vielleicht ein wenig ungerecht erscheint. Jedenfalls kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, Frau von Hodenberg habe ein paar Namen zu viel in ihre Studie hineingestopft, so dass der rote Faden nicht immer zu erkennen ist. Trotz des anspruchsvollen Ansatzes ist die Argumentation der Autorin nicht völlig frei von einer gewissen gedanklichen Schlichtheit. Konrad Adenauer ist eine recht finstere Figur. Er setzte auf „Mediensteuerung von oben, autoritäre Einhegung von Kritik und informelle Einbindung der Berichterstatter“. Von Hodenberg hat keinen Blick dafür, dass die Situation in der frühen Bundesrepublik äußerst fragil und dass ein handfester Antikommunismus zur damaligen Zeit durchaus seine Berechtigung hatte. Außerdem ist Adenauers Kurs der Westbindung historisch ja eindrucksvoll bestätigt worden, während die Gedankenspiele regierungskritischer Publizisten wie Rudolf Augstein oder Paul Sethe die junge Bundesrepublik völlig ins Abseits manövriert hätten. Es ist ungerecht, mit einer gehörigen Prise Arroganz, auch wenn sie sich wissenschaftlich drapiert, über die um 1900 geborenen Journalisten zu Gericht zu sitzen, die teilweise im „Dritten Reich“ Schuld auf sich geladen haben. Ob die 1920, 1940 oder 1970 geborenen Journalisten mutiger und kritischer sind, steht auf einem anderen Blatt. Denn haben wir zurzeit nicht auch einen großkoalitionären Konsensjournalismus, ohne dass die Bundeskanzlerin von oben steuern müsste, sondern eher deshalb, weil sich viele Journalisten im Lande geistig gleichgeschaltet haben? Der Schweizer Publizist Frank A. Meyer hat jüngst im Handelsblatt www.handelsblatt.de eine vernichtende Kritik am Zustand des deutschen Journalismus veröffentlicht. „Erliege ich einer Sinnestäuschung“, so fragte Meyer, „wenn ich mich beim Lesen deutscher Zeitungen, beim Konsum deutscher Fernseh- und Radioprogramme des Eindrucks frappierender Gleichförmigkeit nicht erwehren kann?“ Man sollte sich vielleicht auch noch an die Tage der rot-grünen Koalition zurückerinnern. Als die Alpha-Tiere Fischer und Schröder noch stark waren, haben sich zahlreiche Medienvertreter eben nicht in der Kunst des aufrechten Ganges geübt. Doch dies nur am Rande und als Hinweis, dass ein wenig mehr Demut beim Beurteilen früherer Verhaltensweisen oder journalistischer Gepflogenheiten der knapp vierzigjährigen Forscherin gut zu Gesicht gestanden hätte. Konservative Integration Die fünfziger Jahre – so will sie es uns weismachen – seien eine Zeit der „konservativen Integration“ gewesen. Vielleicht will die Autorin hiermit einen Begriff schaffen. Durchsetzen dürfte er sich in der Historikerzunft allerdings nicht. Erst der Aufstieg der so genannten „45er“-Generation – so wird die erste Generation „kritischer“ Nachkriegsjournalisten tituliert – habe die langsame Ablösung des „Konsensjournalismus“ der Adenauer-Ära mit sich gebracht. Von Hodenberg überzieht die gesamten fünfziger Jahre mit ihrer Konsenssauce: „In der Ära Adenauer war das Bestreben der Regierungen, die Massenmedien in das straffe Korsett der Kanzlerdemokratie einzubinden, offensichtlich.(...)Die Sozialdemokraten passten sich in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren stark an die Konsenskultur an, um der Regierungsbeteiligung näher zukommen.“ Dann kamen die sechziger Jahre, und auf einmal traten die ganzen kritischen Journalisten auf den Plan. Das liest sich jetzt vielleicht höhnisch. Doch von Hodenberg muss sich den Vorwurf gefallen lassen, zu viele Personen und Ansichten über einen Kamm zu scheren. Wahrscheinlich musste sich das sogar, denn sonst hätte sie statt 500 rund 5.000 Seiten schreiben müssen – und differenziert! Die „kritischen“ Journalisten hätten auf jeden Fall „die Idee einer Integration durch Konflikt“ propagiert, „einer auf Interessendivergenz, Kompromiss und öffentlicher Aushandlung basierenden gesellschaftlichen Befriedung“. Selbstverständlich hat dieses Buch auch seine guten Seiten. Hervorzuheben ist der Forscherfleiß der Forscherin, die neben der gedruckten Presse auch die elektronischen Medien einer Analyse unterzogen hat. Außerdem zerstört sie manch liebgewordene Legende. Sie weist nach, dass die Bedeutung der „Spiegel-Affäre“ www.spiegel.de für die Pressefreiheit in der Bundesrepublik maßlos übertrieben wurde. Und sie nimmt den „68ern“ ihren Heiligenschein. Denn zum Beispiel im Fernsehmagazin „Panorama“ gab es lange vor dem Auftreten dieser Bewegung so etwas wie eine kritische Öffentlichkeit. Jeder darf seine Meinung haben und sagen. Dieses demokratische Grundrecht war auch schon in den fünfziger Jahren garantiert. Dazu gehört jedoch auch, dass jede Meinung kritisiert werden darf. Und von Hodenberg vertritt offensiv Meinungen. Wenn sie dann zum Urteil über die „Springer-Presse“ oder konservative oder – irgendwie ganz schlimm – CDU-nahe Journalisten ansetzt, enthüllt die linksliberale Autorin aber nur eins: Ihre Sachkenntnis auf dem Gebiet der konservativen Publizistik ist überschaubar. Ihre Informationen über einen konservativen Theoretiker wie Winfried Martini zum Beispiel verdankt sie anscheinend nur dem Munzinger-Archiv oder anderen einschlägigen Hilfsmitteln. Aber das macht das Urteilen ja bekanntlich einfacher. Christina von Hodenberg: Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945-1973. Wallstein-Verlag: Göttingen 2006. Euro 46. 512 S., ISBN 3-8353-0029-6
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