Pressemitteilung, 03.07.2006 - 16:34 Uhr
Perspektive Mittelstand
Wer macht in Zukunft die Nachrichten? – Internetjournalismus und die Chancen der Aktualität
(PM) , 03.07.2006 - Bonn/Dresden – Der ehemalige WAZ-Chef Uwe Knüpfer startet einen Angriff auf das WAZ-Monopol. Wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel www.spiegel.de berichtete, bekomme die im Ruhrgebiet unangefochten den Zeitungsmarkt beherrschende Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) www.waz.de Konkurrenz von ihrem ehemaligen Chefredakteur Knüpfer. Er wolle noch in diesem Jahr eine Internet-Tageszeitung mit dem Titel „Onruhr“ für das Ruhrgebiet starten, die wie eine Regionalzeitung funktionieren solle. Das Angebot bestehe aus mehreren Lokalausgaben und werde – bis auf Ausnahmen – nicht ständig, sondern einmal täglich aktualisiert, so dass der Leser das zu Hause ausgedruckte Produkt wie eine herkömmliche Tageszeitung nutzen könne. Im tazblog www.taz.de musste sich Knüpfer einige Häme gefallen lassen: „Dass Uwe Knüpfer lange bei einer verstaubten Tageszeitung angestellt war, merkt man daran, dass ‚Onruhr’ nur ein Mal täglich aktualisiert werden soll.“ Mit Internetjournalismus habe das freilich nichts zu tun und bleibe weit hinter den Möglichkeiten zurück, die das Web für Journalisten zu bieten hat. „Der britische Guardian experimentiert übrigens gerade auf dem gleichen Feld. Allerdings ist man da schon etwas weiter als Herr Knüpfer. Die Heimdruckerzeitung ‚G 24’ soll immerhin im Viertelstundentakt aktualisiert werden. Der Leser kann sich sein Blatt aus fünf Themenpaketen zusammenstellen und bekommt dann ein acht- bis zwölfseitiges PDF-Dokument.“ Unterdessen meldete die Welt am Sonntag (WamS) www.wams.de, dass die WAZ nun ebenfalls eine Offensive im Netz starte. Dafür hole sie jetzt einen Star der Blogger-Szene an Bord. Katharina Borchert, deren Weblog Lyssas Lounge www.lyssas-lounge.de eine Größe im Konzert der Online-Tagebuchschreiber sei, werde Chefredakteurin des Projektes mit dem Arbeitstitel „WAZ Live“. In dem Online-Netzwerk, das in einem halben Jahr startet, sollten alle vier Ruhrgebietszeitungen des Essener Konzerns unterkommen. „Diskutiert man diese Thematik etwas grundsätzlicher, so stellt sich die Frage: Wer wird in Zukunft die Nachrichten bestimmen? Sind es die alteingesessenen Print-Medien oder wird der Online-Journalismus eine immer bedeutendere Rolle spielen. In der übersichtlichen alten Print-Welt nahm eine bestimmte Elite von Journalisten eine Gatekeeper-Funktion wahr. Ein relativ kleiner Kreis von Medienleuten entschied, was am nächsten Tag in der Zeitung zu lesen war“, lautet die Einschätzung der Bonner Kommunikationsexpertin Sabine Sohn von der PR-Agentur nic.pr www.nic-pr.de. Die Weblogs und der Online-Journalismus würden die Macht dieser „Schleusenwärter“ vermindern. Dies sei nicht unbedingt negativ zu bewerten, denn der Schweizer Journalist Frank A. Meyer habe ja erst jüngst darauf hingewiesen, dass der deutsche Journalismus zu einer gewissen Gleichförmigkeit und zum Kopistentum neige. Dies sieht Wolfgang Donsbach www.donsbach.net, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Technischen Universität Dresden www.tu-dresden.de anders. „Die pauschale These, dass sich deutsche Journalisten ‚selbst kopieren’, kann ich so nicht teilen. Ich kenne auch keine empirische Evidenz hierfür. Unsere vergleichenden Studien zeigen allerdings, dass die Recherchebereitschaft im amerikanischen und britischen Journalismus stärker ausgeprägt ist als im deutschen. Für den Journalismus, ‚der sich im Internet abspielt’, kann man sich so pauschal nicht äußern“, sagte Donsbach gegenüber NeueNachricht www.ne-na.de. Wenn es sich um Aktivitäten handele, die nach professionellen journalistischen Kriterien vorgehen, sei dies sicherlich eine Bereicherung. Insbesondere die Online-Auftritte der traditionellen Medien seien hierfür gute Beispiele (zum Beispiel www.spiegel.de). Die so genannten ‚Blogger’ weisen diese Qualitätsmerkmale in der Regel nicht auf beziehungsweise sind die Recherche-Grundlagen für solche Auftritte in der Regel für den Nutzer nicht nachvollziehbar, was sie als journalistische Quelle weitgehend wertlos macht (nicht als Quelle für den politischen Diskurs generell).“ Die Tatsache, dass Artikel zunächst im Internet und dann in der gedruckten Zeitung erscheinen, werde aber keine großen Auswirkungen haben. Die meisten Menschen nutzten weiterhin die gedruckte Zeitung (neben den Fernsehnachrichten) als ihr primäres Medium für die Information über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse. „Was dann wohl zuerst erscheint, ist relativ gleichgültig“, so der Kommunikationswissenschaftler. „Ich finde es sehr verwunderlich, dass ein renommierter Kommunikationswissenschaftler wie Wolfgang Donsbach augenscheinlich nicht akzeptiert, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Nachrichten auf einen 24-Stunden-Zyklus zugeschnitten waren“, kommentiert Sohn. Viele Mitarbeiter zum Beispiel in der Finanzbranche seien schon aus beruflichen Gründen darauf angewiesen, sich ständig Nachrichten aus dem Netz zu besorgen. „Zudem gibt es jeden Tag eine Menge wichtiger Geschehnisse, über die sich insbesondere jüngere Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind, sofort informieren wollen. Wenn jemand im Netz surft, kann er sich die Informationen zusammenstellen, die ihn wirklich interessieren. Schlägt er eine gedruckte Zeitung auf, so findet er oft die Tagesschau vom Vorabend vor – diesmal nur in Druckerschwärze.“