Pressemitteilung, 07.04.2008 - 13:53 Uhr
Perspektive Mittelstand
Vergessen Sie Mankell – Entdecken Sie Manchette
(PM) , 07.04.2008 - Bonn/Heilbronn - Das feine Feuilleton macht immer noch einen Bogen um die Kriminalliteratur. Zwar lieben und lesen die Leute Krimis, doch die Kritiker stürzen sich lieber auf die so genannte ernste Literatur, die gekauft, aber oft nicht gelesen wird. Dabei unterhalten gute Kriminalromane nicht nur, sie sagen auch etwas aus über die Gesellschaft, in der wir leben. Und das Schöne ist: In diesem Metier kann man immer noch Entdeckungen machen. Heute ist es Mode geworden, Bücher über Gut und Böse, Verbrechen und Strafe mit Schweden oder Großbritannien in Verbindung zu bringen. Schon die amerikanischen Klassiker, die hard boiled-Detektivromane eines Dashiell Hammett oder Raymond Chandler sagen nur noch den Eingeweihten etwas (die anderen wissen gar nicht, wie viel literarischer Genuss ihnen entgeht). Eine Entdeckung wert sind aber auch die 70er-Jahre-Krimis des Franzosen Jean-Patrick Manchette, der 1942 in Marseille geboren wurde und bereits im Jahr 1995 an Lungenkrebs starb. Er steht für die Stilrichtung des néo-polar, einer Variante des roman noir. Viele seiner Bücher wurden verfilmt. Ödet es Sie nicht auch an, wenn manche modischen Autoren britischer oder schwedischer Herkunft 500 Seiten und mehr brauchen, um einen Mordfall zu schildern? Sie brauchen ihnen aber nur, weil sie nicht zur Sache kommen können, weil sie die Geduld des Lesers mit zig Rahmenhandlungen und den „privaten Problemen“ des Ermittlers strapazieren. Davon sind Manchettes Bücher weit entfernt. Seine Sätze sind knapp, kalt, präzise, ohne Schnörkel, wie der Körper eines Athleten, ohne ein Gramm Fett zuviel. Zum Glück müssen wir nicht in Antiquariaten kramen oder andere mühselige Wege beschreiten, um an Manchettes Werke zu kommen. Im Heilbronner Distel Literaturverlag www.distelliteraturverlag.de liegen elf Bücher aus der Feder des umtriebigen Schriftstellers, Journalisten und Filmkritikers vor. Zum Beispiel der Roman „Fatale“, erstmals 1977 bei Gallimard erschienen. Aimée, die Hauptfigur, ist eine schöne Auftragskillerin. Sie mordet für Geld. Aimée wird uns nicht sympathisch, ja wir wissen nachher auch nicht, warum sie zur Mörderin wurde. Schwafelnde Charakterstudien sind Manchettes Sache nicht, er treibt lieber die Handlung voran. Schwarz und Weiß lässt sich in diesem schmalen, nur 150 Seiten langen Buch nicht sauber voneinander trennen. Es gibt keine Moral, kein glückliches Ende, dafür viel Blut und Brutalität. Dass das von Aimée angezettelte, allerdings von den Honoratioren der Stadt initiierte Gemetzel in einer kleinen Provinzstadt stattfindet mit dem allgegenwärtigen Motto „HALTET EURE STADT SAUBER!“, ist eine bitterböse Pointe. Auch wenn sich Manchette die harten Amerikaner zum Vorbild nahm, sind seine Romane doch meilenweit entfernt von denen eines Raymond Chandler. Denn dieser schenkte uns einen tapferen, sympathischen Helden, mit denen wir uns identifizieren können, auch wenn wir nur in unserer Fantasie so cool, stark und trinkfest sind. Bei dem Franzosen gibt es keine Helden, und eine schwärzere Form des Humors. Hier fehlt auch die Melancholie und Ironie, die die Romane Chandlers menschenfreundlicher und „erträglicher“ machen. Jean-Patrick Manchette: Fatale. Heilbronn: Distel Literaturverlag 2007. 148 Seiten, 14,80 Euro. ISBN 978-3-923208-81-4.