Fachartikel, 05.03.2012
Perspektive Mittelstand
Unternehmensvision
Wie die Vision zur Realität wird
Fast jeder Unternehmer kennt das Gefühl, auf der Stelle zu treten und nicht voranzukommen. Zugleich ist da das Wissen darum, mehr erreichen oder bewirken zu können, das Fühlen einer irgendwie gearteten anderen Zukunft, einer Vision. Nur, wie kommt man von der Gegenwart zur Vision?
Die meisten Unternehmensvisionen können überhaupt nicht verwirklicht werden, weil sie nicht klar sind. "Wir wollen der beste Problemlöser für unsere Kunden werden" oder "Wir sind der Marktführer in unserem Segment" oder ähnliche "Visionen" haben oft nicht die geringste Chance auf Verwirklichung. Der Grund: Sie sind völlig verwaschen und unklar. Wie erkenne ich, dass ein Unternehmen der beste Problemlöser für seine Kunden ist? Wie messe ich das? Wie erkenne ich Fortschritte und wer sind eigentlich "unsere Kunden"?

Ein Lösungsansatz: Unter den Kunden einfach eine Umfrage starten und herausfinden, für welche Kunden man selbst bzw. das eigene Unternehmen schon heute der beste Problemlöser ist. Und dann vom Rest der Kunden trennen – fertig: Vision verwirklicht ;-)

Oder die Marktführerschaft: Wie messe ich diese? Mehr als 50% Marktanteil? Mehr als doppelt so viel Marktanteil wie der Zweite? Was ist überhaupt der Markt und unser Segment? Und was habe ich davon, wenn ich als Kodak Marktführer bin und andere die Digitalkamera erfinden?

Noch so ein Klassiker ist "reich werden" oder "mehr Geld". Für die einen ist reich 50.000, für die anderen 50 Mia. Euro. Und mehr Geld? Diesen Leuten gibt man einfach einen Euro, dann haben sie mehr Geld als vorher. Dazu braucht man dann auch kein Coaching.

Fallstrick Egozentrik

Geldziele lassen sich meist leichter präzisieren als andere Ziele. Da kann man nämlich klar benennen, dass man in 10 Jahren 10 Millionen Euro mehr Gewinn erzielen will. Das Ganze hat nur einen Haken: Wenn Geld die primäre Vision wird, dann findet man nicht so viele Leute, die einem bei der Verwirklichung der Vision helfen. Wieso sollte ich jemand anderem helfen, 10 Mio. Gewinn zu machen? Da gibt es meist sehr wenig Gründe für.

Und noch schlimmer: Wenn ich so sehr auf das Geld fokussiere, dann ziehe ich Leute an, die das auch tun. Zum Beispiel Kunden oder Mitarbeiter. Die Konsequenz: Die Mitarbeiter wollen mehr Gehalt und die Kunden wollen weniger bezahlen. Schlecht für meine Vision! Wenn Unternehmer sagen, dass die Kunden alles immer billiger haben wollen, dann steht dahinter beim Unternehmer immer als Hauptmotiv, dass er selbst mehr Geld will. Wie schon Anais Nin sagte: "Wir sehen die Welt nicht so, wie sie ist, sondern so wie wir sind." Unternehmer, die vor allem geben wollen, haben keine Probleme mit Kunden, die alles immer preiswerter wollen.

Visionen, die Menschen begeistern, sind eines nie: Egozentrisch! Gandhi, Martin Luther King, John F. Kennedy, Steve Jobs, Richard Branson, Henry Ford, Edison, Gottlieb Duttweiler... wollten und wollen die Welt verändern, nicht ihren Kontostand. Und dann finden sich Menschen, die daran mitwirken wollen. Und dann beginnt eine Vision Kraft zu entfalten.

Der Kern einer Vision wäre z.B. das Gesundheitssystem zu verändern. Daran würden bestimmt viele mitwirken wollen. Natürlich fehlt dem noch die Klarheit. Das Gesundheitssystem "verändern" wollen irgendwie alle, nur halt jeder in eine andere Richtung. Interessanter wird es, wenn ich die Sache konkreter mache. Z.B. indem ich das (angeblich) alte chinesische System aufgreife, in dem der Dorfarzt nur von den Gesunden bezahlt wird – beim Kranken hat er ja versagt; wieso sollte er also Geld von ihm bekommen? Damit würde sich die Denkweise von Ärzten um 180 Grad drehen. Und wenn ich dann noch eine geschäftliche Idee habe, wie ich das in die Wirklichkeit bringen will, z.B. in Form irgendeiner Krankenversicherung o.ä., dann wird das Ganze für Menschen anziehender und klarer.

Oft ist eine Vision am Anfang nur ein unklares Gefühl. Wie kommt man vom einen zum anderen? Einer der Schlüssel ist mal wieder Storytelling! Erzählen Sie einfach verschiedene Geschichten, wie es sein könnte, wenn Ihre Vision verwirklicht wäre. Geschichten sind zwingend konkret.

Versetzen Sie sich einfach in bestimmte Situationen! Im Gesundheitsbeispiel: Was passiert in Ihrem Gesundheitssystem der Zukunft, wenn sich jemand ein Bein bricht oder Grippe hat? Wer forscht nach neuen Heilmethoden? Wie machen die das? Wer zahlt wann, was und wie viel? Wer hilft mir wie, wenn ich einfach gesünder leben will? Stellen Sie sich einfach Dutzende oder Hunderte Fragen dazu. Dann entsteht ein Bild und dieses Bild ermöglicht es Ihnen, den Kern herauszuarbeiten und klar zu formulieren.

Eine Vision muss kraftvoll sein

Dann braucht eine Vision Kraft und Power. Das hat etwas mit der Größe des Ziels zu tun, aber vor allem auch mit der Intensität, die Sie dieser Vision verleihen. In der amerikanischen Verfassung steht was von Freiheit und Abschaffung der Sklaverei. Für viele Menschen ist das irgendwelches juristische Zeugs von vor 150 oder 200 Jahren. Für Martin Luther King hatte es hingegen eine riesige Bedeutung und er konnte deshalb andere anstecken.

Die Bedeutung entsteht durch die eigene Geschichte und die Interpretation derselben. Wenn ich einfach sage, dass ich gerne das Gesundheitssystem verändern würde, dann ist das ganz nett und trifft den Zeitgeist. Aber Kraft hat das keine! Wenn ich hingegen selbst 10 Jahre lang mit einer Fehldiagnose durch das System geschleust und fast zu Tode behandelt worden bin, dann bekommt das eine ganz andere Bedeutung!

Aus diesem Grund ist eine Vision nahezu immer mit einer starken persönlichen Geschichte und dem darin liegenden Grundmotiv verbunden. Aus diesem Grund sind Visionen, die im Team entwickelt wurden, fast immer kraftlos! Weil sie nämlich von den persönlichen Geschichten, die erst den Treibstoff liefern, abstrahieren und verallgemeinern.

Unterstützer suchen

Das heißt nicht, dass Sie Ihre Vision alleine zum Leben erwecken müssen. Ganz im Gegenteil! Eine der ersten und wichtigsten Aktivitäten ist es, (hochkarätige) Unterstützer für die Vision zu finden. Ich habe vor kurzem die autorisierte Biographie von Steve Jobs und "Onward" von Howard Schultz gelesen. In beiden wird ein Turnaround beschrieben (Apple 1997/98, Starbucks 2008). In beiden Fällen begannen die Unternehmer mit der Stärkung der emotionalen Vision und fuhren dann fort, indem sie sich einen Unterstützerkreis schufen.

Das kann nicht genug betont werden! Die meisten Unternehmer sind in gewisser Weise zumindest unternehmerisch Eigenbrötler. Sie sind in der Führung ihres Ladens einsam. Das ist angesichts der Geschichte der meisten Unternehmer nicht verwunderlich: Am Anfang raten einem alle von der Gründung ab, dann traut einem niemand die Führung zu, dann wissen es alle besser und am Schluss wollen alle sowieso schon immer unterstützt haben. Solche Bedenkenträger und Mitläufer kann man natürlich nicht als Unterstützer gebrauchen. Es geht um Leute, die selbst schon mal was hinbekommen haben.

Die findet man, indem man viel über seine Vision spricht. Manchen geht man damit auf den Geist. Das ist gut! Manche werden davon angezogen. Diese kommen in die Auswahl. Man kann es sich natürlich auch einfacher machen, indem man sich aktiv in ein Umfeld begibt, in dem Unternehmer mit einer ähnlichen Philosophie sind.

Aufräumen

Aber bis zu diesem Punkt ist alles noch Traum. Viele beginnen, jetzt einen Plan zu machen. Das klingt gut, führt aber nur selten zum Erfolg! Die Sache ist die: Es werden irgendwelche Ablenkungen und irgendwelches anderes Zeug dazwischen kommen. Immer! Dann hat man ja auch noch seine jetzige Firma am Laufen zu halten. Und ein Privatleben hat man auch noch. Und ein bisschen Sport sollte auch noch sein.

Um die Vision in die Wirklichkeit zu bringen, gilt es, der Vision ein Datum zu geben und alles, was man jetzt aktuell macht, auf den Prüfstand zu stellen. Wirklich alles! Das Ziel ist, zu identifizieren, was man NICHT mehr tun will und was einem NICHT hilft, dieser Vision näher zu kommen. Ich nannte vorher Steve Jobs und Howard Schultz als Beispiel. Was sie in ihren Turnarounds als nächstes gemacht haben, war nicht(!) Kosten reduzieren, Pläne machen oder neue Produkte einführen. Beide räumten als nächstes auf! Sie schufen sich und ihren Mitarbeitern Freiraum für das, was dann kommen sollte.

Aufräumen in diesem Sinne hat etwas Radikales! Steve Jobs reduzierte zwei Dutzend Produkte (von denen die meisten eine schwarze Null produzierten) auf gerade einmal vier Produkte. Howard Schultz reduzierte das Randgeschäft, indem keine Plüschtiere und keine warmen Sandwiches (mit unangenehm riechendem zerlaufenen Käse) mehr verkauft wurden – beides durchaus Produkte, die einen Deckungsbeitrag lieferten. Oder Roland Kamm warf bei Kärcher in den 70er Jahren alles raus außer Hochdruckreiniger (also sämtliche Grabeinfassungen, Katamaranrümpfe, Wasserkocher und was es sonst noch so gab – insgesamt 300 Produkte!). Das muss man sich mal vorstellen! 300 Produkte auf 1 Produkt zusammenstreichen!

Aber der Punkt ist: Alles das, was diese Unternehmer weggeschnitten haben, passte nicht zur Vision! Nun ist es leider so, dass die meisten Unternehmer an dem festhalten, was sie tun. Oder von 20 Produkten nur eines rauswerfen. Und damit halten sie an der Vergangenheit fest und haben keine Hände für die Zukunft frei.

Die Verwirklichung einer Vision beginnt mit dem Mut, sich vom Zustand der Nicht-Vision, von der Vergangenheit konsequent zu verabschieden. Commitment zur Vision ist nicht nur die Selbstverpflichtung, alles zu tun, um die Vision zu verwirklichen, sondern auch alles zu lassen, was nicht zur Verwirklichung der Vision beiträgt. Und zwar jetzt und radikal!

Die Frage, nach dem, was Sie (als Person und Unternehmen) nicht mehr tun und haben wollen, ist so gesehen eine der kraftvollsten Fragen überhaupt. Nur so sind wirkliche Quantensprünge möglich und nur so hat Ihre Vision auch eine Chance auf Verwirklichung.
QUERVERWEIS
Informationsdienst
Coachingbriefe für Unternehmer
Wöchentlicher Online-Informationsdienst für Unternehmer mit Beiträgen zur Weiterentwicklung der unternehmerischen Handlungskompetenz, exklusiven Vorlagen und Checklisten - inklusive Unternehmerforum.
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ZUM AUTOR
Über Stefan Merath
Unternehmercoach GmbH
Stefan Merath leitet seit 1997 eigene Unternehmen mit bis zu 30 Mitarbeitern. 2004 startete er dann zusätzlich seine Laufbahn als Coach und verkaufte schließlich sein Software-Unternehmen im Jahr 2007, um sich ganz dieser Berufung zu widmen. Die Umwandlung seiner Beratung zur Unternehmercoach GmbH erfolgte im selben Jahr, und heute beschäftigt die GmbH vier Unternehmercoaches. Der Experte für die Überwindung der zweiten unternehmerischen Wachstumshürde (dem Übergang vom Selbständigen zum Unternehmer) berät mit seinem Team ausschließlich Unternehmer durch eine Kombination aus eigener unternehmerischer Erfahrung und Personal Coaching. Er selbst ist als Vortragsredner, Seminarleiter, Coach und Autor aktiv. Der Diplom-Soziologe hat zahlreiche Coaching- und Positionierungsweiterbildungen absolviert. Er ist Autor des Buches "Der Weg zum erfolgreichen Unternehmer. Wie Sie und Ihr Unternehmen neue Dynamik gewinnen" und veröffentlicht regelmäßig Fachbeiträge in Presse und Internet. Er hat eine Ausbildung in der ‚Engpass-konzentrierten Strategie’, ist assoziiertes Mitglied in der ‚Beratergruppe Strategie’ und engagiert sich bei ‚KIVA’, einem Portal für die direkte Gewährung von Mikro-Krediten an Selbständige und Unternehmer in unterentwickelten Ländern.
Unternehmercoach GmbH
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