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Spargelsuppe mit Schlingensief – Cicero und die journalistische Schaumschlägerei

(PM) , 07.08.2007 - Von Ansgar Lange

Bonn/Pfaffenhofen – Die literarisch-politische Zeitschrift Gegengift hat sich wieder zurückgemeldet. Jetzt ist die in Pfaffenhofen erscheinende Publikation sogar mit einer Präsenz im Internet versehen. Unter www.gegengift-verlag.de kann der Leser einen Blick auf ausgewählte Artikel des jeweiligen Heftes werfen. In der Ausgabe vom 15. Juli 2007 ist eine hübsche Glosse des Gegengift-Chefredakteurs Michael Ludwig erschienen, die NeueNachricht www.neue-nachricht.de im Wortlaut abdruckt.

Steffen Kopetzky, Pfaffenhofen? Berlin? – Irgendwie haben Sie es uns angetan. Nicht, dass wir Sie wie Jagdhunde verfolgen würden, nein, das nicht, aber immer wenn wir von Ihnen hören oder lesen, dann sagen wir uns – ja, ja, der Kopetzky, was hat er denn diesmal wieder verbrochen (literarisch, journalistisch natürlich). Vermutlich rührt unser Interesse an ihrer Person daher, dass wir Sie schon so lange kennen. Wir können uns noch genau daran erinnern, wie Sie als junger Gymnasiast mitten im eiskalten Winter durch Pfaffenhofen geradelt sind, um in einer Kneipe oder in einer Schule aus ihren Manuskripten vorzulesen.

Damals, als die kalte Jahreszeit noch wirklich kalt war, sind Sie mit einer knallroten, eingefrorenen Nase vom Drahtesel gestiegen, haben sich die Finger warm geklopft, aber Sie haben stets beste Laune verbreitet. Kein Weg war Ihnen zu weit, kein Wetter zu ungemach, kein Publikum zu gering, um sich den Karriereweg zu pflastern. Auf die weibliche Pfaffenhofener Ökoszene hat diese unbedingte Leidenschaft, verbunden mit dem vorausschauenden Blick, dass das Auto ein Werkzeug des Teufels sei, unglaublichen Eindruck gemacht: manche schmachtende Blicke sind Ihnen damals zugeflogen, obwohl Sie noch so jung waren.

Dann haben Sie während des Studiums einen Roman vorgelegt, der zwar ungenießbar war, aber macht nichts, Sie haben ihre literarische Stimme erhoben. Irgendwann einmal haben wir kurz die Klingen gekreuzt, als vom Herausgeber dieser Zeitschrift eine kleine Glosse in der örtlichen Presse erschien, die Sie aufs Korn genommen hat. Sie haben geantwortet. Wir wissen gar nicht mehr, worum es eigentlich ging, ganz sicher um Nebensächlichkeiten, tempi passati.

Und jetzt lesen wir plötzlich in „Cicero“: Christoph Schlingensief ist der am liebevollsten gehätschelte Berufsanarchist der deutschen Kulturszene. Schriftsteller Steffen Kopetzky versuchte, mit ihm essen zu gehen – ein schwieriges Unterfangen angesichts der generalstabsmäßigen Kommunikationspolitik des Künstlers. Nichts wie ran an die Lektüre. Kopetzky & Schlingensief, das schien uns eine aparte Mischung zu sein; zwei grobe künstlerische Steine, aus deren Zusammentreffen stobende Funken zu schlagen sein müssten. Der Anfang ist auch recht hübsch erzählt. Wir erfahren allerlei über die Schwierigkeit, Schlingensief, diesen schaumschlagenden Schlingel, zu treffen.

Schon haben wir die erste Hälfte des Artikels gelesen und sind bei einer weiteren, halb schlaflosen, halb albträumenden Nacht angelangt, die Ihnen, lieber Herr Kopetzky, dieses Interview beschert. Ungeduldig lesen wir weiter. Doch Sie sind einer der ganz Raffinierten, Sie spannen uns auf die Folter. Dann endlich, wir haben schon fast zwei Drittel des Textes hinter uns, schreiben Sie: Mit einer Verspätung von eineinhalb Stunden war es dann soweit. Schlingensief tauchte auf, und nach einigem Hin und Her nahmen wir schließlich Platz an einem winzigen runden Kaffeehaustisch aus Kunststoff, inmitten eines turnhallenhohen Raums, der berühmten „Goldenen Bar“, original aus den dreißiger Jahren. An ein Restaurant war wegen der Verspätung nicht mehr zu denken. Schlingensief war bester Laune, wir bestellten Spargelsuppe, und auf Vorschlag der Pressedame genehmigten wir uns ein schönes Glas Weißwein. Als genau jene Spargelcremesuppe kam, die von deutschen Kantinen im Mai und Juni mit Vorliebe auf die Karte gesetzt wird, ist sie doch ein kostengünstiges Endverwertungsprodukt, brauchte Schlingensief genau drei Minuten, die Pressedame und ich schlürften erstaunliche zwanzig Minuten an ihr. Dazwischen ein Schlückchen Weißwein, ein grassaures, mittelkaltes Getränk deutscher Provenienz. Immerhin wissen wir jetzt, dass Schlingensief Spargelsuppe in drei Minuten goutiert.

Aber warum weiter über Schlingensief schreiben, haben Sie sich vermutlich gedacht, wo doch Sie, Steffen Kopetzky, die weitaus interessantere Person sind. Also lesen wir folgerichtig: So schlecht hatte ich schon lange nicht mehr gegessen, aber es konnte gar nicht anders sein, saßen wir doch in einem improvisiert errichteten Offizierskasino, einem Feldlager, einem militärischen Hauptquartier, und ich fühlte mich wie ein demütig an den Tisch des Generals herangelassener Berichterstatter, der erstaunt mitteilen kann, dass der große Feldherr ein ganz normaler, freundlicher Mann ist, der für seine fünfzig Jahre immer noch erstaunlich jungenhaft wirkt. Natürlich macht er sich ums Essen keinen Kopf! Die anderen essen. Er denkt, plant, führt. Nein, natürlich macht er sich ums Essen keinen Kopf – drei Minuten, und schon ist die Spargelsuppe weggeputzt, während Sie zwanzig Minuten lang ebenfalls Suppe schlürfen, nicht denken, nicht planen und schon gar kein interessantes Gespräch führen. Aber dann, wir haben den Text schon fast ganz gelesen, die letzten 16 Zeilen: General Schlingensief erzählte von einem Anruf Bianca Jaggers, die ihn und sein Team für ein Protestprojekt in der Türkei gewinnen wollte, von Fassbinder und Godard, überhaupt liebt er große Namen, egal ob aus der Medienbranche oder deutscher Philosophie. Namen sind Verheißungen, helfen gedankliche Lücken zu überwinden. Sie sind die Hilfsheiligen des Dilettanten. Am Schluss trinken wir noch Kaffee, in den ich gegen meine Gewohnheit viel Zucker gebe, war ich doch am gefühlten Ende meiner Kräfte. Schlingensief kann die Leute eben dazu bringen, nicht nur für ihn zu arbeiten, sondern auch zu schuften. Ein Phänomen. Was hat Schlingensief über Fassbinder und Godard erzählt? Welche Großen der Medienbranche und der deutschen Philosophie hat er erwähnt und in welchen Zusammenhang hat er sie gestellt? Wir hätten es gern erfahren. Das Interview verschweigt mehr als es offenbart – und da schreiben Sie auch noch, Sie hätten geschuftet. Sie sind ein Phänomen, Herr Kopetzky.
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