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Fachartikel, 12.03.2010
Social Media
Vom klassischen Buch-Vertrieb zum Verlag 2.0
Der Siegeszug des sozialen Internets birgt für Buchverlage die Chance, sich neue Kunden(-gruppen) zu erschließen – sofern sie auf das veränderte Informations- und Kommunikationsverhalten der potenziellen Buchkäufer adäquat reagieren. Tatsache aber ist: Die Chancen von Social Media wie Weblogs, Social Networks oder Twitter werden von den meisten Verlagen noch kaum genutzt.
Der Strukturwandel in der Verlagsbranche schreitet voran. Die stetig wachsende Nutzung des Internets sowie von mobilen Endgeräten ist hierbei ein maßgeblicher Treiber. Daraus erwachen für das Verlagsgeschäft viele Fragen, denn zunehmend etabliert sich das Internet beim Buchverkauf nicht nur als “Point of Sale“. Es bietet den potentiellen Buchkäufern auch viele Entscheidungshilfen. Eine wichtige Entscheidungshilfe für den Kauf eines Buches ist die Empfehlung von Freunden und Bekannten. Folglich wäre das größte Marketing-Kapital, das ein Verlag haben könnte, eine lebendige Tippgeber-Gemeinschaft für unentschlossene Leser.

Im realen Leben werden, um diese zu schaffen, unter anderem Messen und Lesungen organisiert. Diese sprechen aber meist Fachkreise und ohnehin interessierte Leser an. Ganz andere Möglichkeiten bietet das Social Web, also das interaktive Internet. Es ermöglicht den Verlagen, sich neue Leser(-gruppen) zu erschließen. Doch leider werden diese Chancen von den Buchverlagen noch kaum genutzt. Stattdessen verstricken sie sich in Urheberrechts-Debatten und Debatten über die Online-Kostenlos-Kultur. Dessen ungeachtet werden sich die Marketing- und Vertriebsstrukturen in der Verlagsbranche in den kommenden Jahren verändern. Diese Veränderungen bergen auch Chancen, die bislang weder ausreichend diskutiert, geschweige denn realisiert wurden.

Das neue soziale Internet ist ein Long-Tail – also eine kollektiv geschriebene Geschichte aus unzähligen Einzelbeiträgen wie Artikeln, Blogs, Twitter-Meldungen, Kommentaren, die sich zu einem kommunikativen Raum vernetzen. Neue Inhalte können in diesem Raum Karriere machen, wenn sie von Usern viral weiter verbreitet werden. Für Verlage als Erzeuger von Kommunikationsmedien ist dieses gigantische kommunikative Ökosystem ein ideales Forum, um eigene Inhalte an Zielgruppen zu vermitteln und Multiplikatoren hierfür zu gewinnen.

Dieses Ökosystem kann aber nicht mit den Mitteln des klassischen Marketings erschlossen werden. Für eine erfolgreiche Social-Web-Strategie ist ein Paradigmenwechsel erforderlich, der teilweise bewusst mit Aspekten des klassischen Marketings bricht. Im Folgenden werden fünf Handlungsfelder skizziert, mit denen auf diese Entwicklungen eingegangen werden kann.

1. Digitale Medienstrategien: Steuerung statt Kontrolle

Die strategischen Rahmenbedingungen für das klassische Marketing verändern sich in einem Umfeld, in dem die Beziehungen zwischen Anbieter und Kunde nicht hierarchisch, sondern dialogisch organisiert sind. Klassische Kontrollmöglichkeiten reduzieren sich somit auf die technischen Plattformen und das Recht am eigenen digitalen Inhalt. Der Dialog, das Weiterverlinken und die Teilnahme der User sind nicht mehr kontrollierbar. An die Stelle der Kontrolle tritt eine Steuerung, die über Impulse für Zielgruppen oder die Community Entwicklungen initiiert und taktisch begleitet wird. Es geht also darum, ein neues Kontrollinstrumentarium zu entwickeln, das die Verlage in die Lage versetzt, integrierte Medienstrategien (analog plus digital) zu entwickeln. Diese bilden die Grundlage für alle marketingpolitischen Instrumente in der Produkt-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik. Anhand der Preispolitik soll der Einsatz von sozialen Medien konkretisiert werden.

Ein in Verlagskreisen intensiv diskutiertes Thema ist: paid-content. Diese Bezahl-Inhalte können den potentiellen Kunden über Social Media Kanäle schmackhaft gemacht werden. Das funktioniert aber nur, wenn die dort eingespeisten Infos, dem Nutzer einen Mehrwert für seine persönlichen Lebens- und Lesegewohnheiten bieten. Das kostenfreie Angebot muss also so attraktiv sein, dass die Nutzer gebunden und ihr Interesse für kostenpflichtige Angebote geweckt wird. Für Verlage bedeutet dies: Sie müssen bereit sein, ihren Zielkunden kostenlos werthaltige Inhalte zur Verfügung zu stellen, um mittelfristig ihre Absatzchancen zu verbessern.

2. Zielgruppen-Monitoring

Web 2.0 lebt vor allem von der Interaktion der beteiligten Internetuser. Hier befindet sich ein ausgeprägtes Marktforschungspotential, das Verlage in der Regel noch nicht nutzen. Bei Web 2.0-Angeboten werden Daten durch den Dialog- und Verkaufsprozess selbst produziert. Gute Social-Media-Konzepte hinterlegen jeder Anwendung Verfahren zur Messung von Zugriffen und ermöglichen darüber die Dechiffrierung von Motivation und Interessenlagen der Zielgruppen. Die neue digitale Marktforschung läuft also als Parallelprozess mit, anstatt vor- oder nachher erhobene Ergebnisse zu liefern. Dazu sind Monitorings durchzuführen, die potentielle Absatz-Zielgruppen und Themen-Meinungsführer identifizieren. Als regelmäßiger Prozess lassen sich so systematisch und organisiert die digitalen Nutzer und Käufer für Produkte sensibilisieren und in den Vertriebs- und Kommunikationsprozess des Verlages integrieren.

Kunden zu viralen Fürsprechern zu machen, ist die zentrale Herausforderung von Social Media Konzepten – aber auch eine nie dagewesene Chance. Denn gute Bücher sind per se viral, wenn die Kommunikation in den diversen neuen Web-Kanälen entsprechend konzipiert ist. Ein virales Konzept setzt ein hohes Maß an Zielgruppenkenntnis und Systemverständnis des Social Media Cosmos voraus, denn auf der Konzeptebene entscheidet sich, ob Facebook-Fanpages, Community-Angebote oder Literaturblogs eine virale Strahlkraft in der anvisierten Zielgruppe entfalten können.

3. Marketing 2.0

Der etablierte Vertriebs- und Kommunikationsprozess eines Verlages wird auch in Zukunft Bestand haben. Dem ist die Dimension des Dialoges hinzuzufügen. Unter dem Motto „Dialog statt Verkaufsgespräch“ sind Web-2.0-Aktivitäten keine Werbe- oder Verkaufsveranstaltungen. Die eigene Community oder Vermarktungskampagne muss als Dialog- und nicht als Kaufangebot konzipiert sein. Sie schafft Meinung, nicht Absatz – aber auf diese Weise bessere Absatzchancen, weil die Verlagsangebote näher an den Kunden heran rücken, als es mit den klassischen Marketing-Methoden bisher möglich war.

Diese neue Dialogfähigkeit erfordert von Verlagen ein Vorgehen, das Kultur und Tonalität des klassischen Marketings verändert und mit den Dialoganforderungen ergänzt. Dialoge sind nicht mehr abstrakte Datenaustauschaktionen zwischen Anbieter und Nachfrager, sondern Dialoge zwischen Menschen, zwischen Leser und Verlag und Autoren.

4. Umgang mit Kommentaren im Internet

Das soziale Internet basiert auf vernetzten Beziehungen auf Augenhöhe. Wenn Social Media für eine Marke, eine Zielgruppe oder ein Genre eingesetzt werden, muss ein Verleger bereit sein, Teil dieser Beziehungen zu werden. Die „Bedingungen“ dafür stellt das soziale Internet selbst: Mitarbeiter sollten persönlich aktiv werden dürfen und können. Dieser Dialog kann über Foren stattfinden, die einen Kontakt auf Augenhöhe erlauben, Kritik und gegebenenfalls schlechte Kommentare inbegriffen.

Für den Erfolg dieses CRM 2.0 ist der Umgang mit dieser Kritik wesentlich, nicht so sehr das Vorhandensein derselben. Auch darin sollten die Chancen erkannt werden: Nur transparente Kritik kann entkräftet werden und berechtigte Kritikpunkte der Zielgruppe sind ein authentisches Feedback, mit dem das eigene Angebot verbessert werden kann. Von gut konzipierter Interaktion profitieren also beide Seiten. Gerade für den Aufbau und die Pflege von Kundenbeziehungen schaffen Social Media neue Horizonte, weil sie selbst „Beziehungsmedien“ sind.

Der Verlag 2.0: Veränderung ist Selbstveränderung

Neue Paradigmen klingen nach grundlegendem Wandel und tatsächlich stehen den Verlagen tiefgreifende Veränderungen durch die neue digitale Kommunikationskultur des Web bevor. Doch diese Veränderungen sind eher kultureller Natur. Der Wandel erfordert keine umfassenden Restrukturierungen, vielmehr eine kulturelle Transferleistung im klassischen Marketing- und Kommunikationsdenken.

Verlage sollten die Relevanz des Mediums als Teil ihrer Wertschöpfungskette anerkennen und dessen Integration in ihre bestehenden Geschäftsmodelle vorbereiten. Dieser Erkenntnis sollte eine Analyse des digitalen Ökosystems sowie die Identifikation der eigenen Nische und des richtigen Kanals folgen, denn Social Media Konzepte müssen auf eine Zielgruppe und ein bestimmtes Verlagsangebot zugeschnitten sein, um virale Wirkungen und somit absatzförderliche Ergebnisse verursachen zu können.

Derzeit überwiegen die Chancen für Pioniere unter den Verlagen, denn viele Social Media Nischen sind noch unbesetzt. Mit jeder neuen, gut etablierten Social Media Plattform tritt jedoch eine zunehmende Sättigung der Verbraucher und der Netzöffentlichkeit ein.

Verlagsmarketing 2.0 ist keine neue, fremde Welt, die man erobern müsste. Es bietet eher die Möglichkeit, durch intelligente Pionierprojekte strategische Nischen zu besetzen und schrittweise neue Kundengruppen zu erschließen. Von diesen Nischen aus lassen sich weitere Potenziale erschließen und auch notwendige Neuausrichtungen des eigenen Marketings Schritt für Schritt vornehmen.

Mit dem Schritt ins soziale Internet ist der Brückenschlag zwischen der internen Unternehmensrealität und dem externen kommunikativen Ökosystem zu schaffen. Dieser hat auch Auswirkungen auf das Selbstverständnis der Moderatoren dieser Schnittstelle in Marketing und Vertrieb. Für die Social Media Kommunikation muss das klassische Kompetzenzrepertoire in Marketing und Vertrieb erweitert und teilweise neu definiert werden. So könnte ein Community Manager oder Social Media Verantwortlicher als Moderator, Initiator oder personifizierter Service-Mitarbeiter das Thema strukturell besetzen und durch seine Matrixfunktion zugleich mehrere Programmbereiche sensibilisieren und konkrete Projekte initiieren und betreuen. Die konzeptionelle Entwicklung sollte also von einem Change-Prozess begleitet werden, der neue Fähigkeiten und ein neues Denken an den Schnittstellen zur digitalen Öffentlichkeit implementiert.

Starten Sie. Erarbeiten und vereinbaren Sie gemeinsame Ziele. Entwickeln Sie ein Medienstrategie-Konzept, das die Stoßrichtung und die relevanten Digitalen Medien definiert, und einen Projektplan zur operativen Umsetzung. Hierfür ist ein Zeitaufwand von ein bis drei Tagen nötig, abhängig von den Anforderungen im Unternehmen und den angestrebten Zielen.
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