Pressemitteilung, 05.01.2007 - 15:33 Uhr
Perspektive Mittelstand
Sehnsucht nach dem 23-Pfennig-Nahbereich - Kult-Autor Florian Illies glaubt, die Grostädter zieht es in die Provinz
(PM) , 05.01.2007 - Von Jörg Löbker Man muss gewisse Voraussetzungen erfüllen, um sich in Florian Illies Büchern wiederzufinden oder gar aufgehoben zu fühlen. Wer zwischen Mitte 20 und Ende 30 ist, aus einer kleinen Stadt irgendwo in der Provinz kommt, sich an kindheitliche Samstagabende frisch gebadet im Morgenmantel vor dem Fernseher („Wetten, dass...?“ oder „Einer wird gewinnen“) erinnert und trotz Zeitalters des Mobilfunks, der Flatrates und der Kaffeepadmaschinen noch weiß, was ein Ortsgespräch ist – der erfüllt diese Voraussetzungen. „Ortsgespräch“? Ja, Moment, da war doch was. Richtig, es handelt sich nicht nur um den bereits verschwundenen 23-Pfennig-Nahbereich, sondern genau so heißt auch Florian Illies’ neuestes Werk, das im Sommer dieses Jahres im Karl Blessing Verlag in München erschienen ist. Wer Illies’ bisherige Werke (Generation Golf 1 & 2, Anleitung zum Unschuldigsein) mochte, wird auch dieses Buch mögen. Illies überzeugt auch in „Ortsgespräch“ wieder mit einer charmant-witzigen Art des Schreibens und beweist erneut, dass er die Gabe hat, dem geneigten Leser „aus der Seele zu sprechen“. Konkret geht es in diesem Buch um die Schrulligkeiten der deutschen Provinz. Orte, in denen die Eisdiele „Venezia“ heißt, die Pizzeria das Schaufenster zur großen weiten Welt ist und „Tante Emma Läden“ immer noch existieren, gibt es zuhauf in diesem Land. Wie zum Beispiel Schlitz in Hessen. Der Ort, in dem Florian Illies eine offenbar idyllische Kindheit und Jugend verbracht hat (und aus dem seiner Aussage auch die Sekretärin von Showmaster Thomas Gottschalk sowie die Leinenservietten aus der First Class der Lufthansa stammen). „Ich lag auf der Wiese hinterm Haus, am Waldrand bei den Beerenbüschen, und die Sonne stand schon recht tief, nur ganz oben, auf den Blättern der Krone der riesigen Kastanie, schimmerte noch warmes Sonnenlicht, die Rinde der alten Kiefer leuchtete rot ...“ Solche Kindheitserinnerungen hat niemand, dem an einer Schule im Ruhrgebiet oder in Berlin schon einmal ein Handy oder ein mp3-Player „abgezockt“ wurde. Aber in Provinz-Städtchen wie Schlitz bleiben solch schlimmen Erlebnisse nun einmal aus. Die Sehnsucht nach der Sehnsucht nach dem Land Selbst Jahreszeiten oder meteorolgische Ereignisse kündigen sich in der Provinz gänzlich ohne Jörg Kachelmann oder www.wetteronline.de an. Frühling ist bei uns, wenn bei Eisen Adolph die Schaufensterdekoration gewechselt wird“, schreibt Illies. Er erzählt weiter, dass die Dekoration immer nur aus einem einzigen Gerät bestand. Im Winter bestand sie aus einer Schneeschaufel. War der Winter vorbei, würde die Schneeschaufel durch einen herkömmlichen Besen abgelöst. Mit solch geringem Einfallsreichtum bei der Gestaltung der Schaufenster funktioniert der Erhalt eines Einzelhandels allenfalls in diesen Orten, in denen es ein (zu) weiter Weg bis zum nächsten Riesen-Baumarkt ist, dessen Werbespots während des gesamten Tageszeit in den deutschen Fernsehsendern rauf- und runterlaufen. Offen ist, ob Illies damit Recht behält, dass viele Ältere derzeit akut von einem Landsucht-Virus befallen sind, der schon allein daran zu erkennen ist, dass die von ihm Infizierten sich umgehend einen „Manufactum“-Katalog bestellen. Der Autor begründet seine These damit, dass es bei dieser Firma noch die gute, alte Wertarbeit vom Lande zu bestellen gibt, nach der sich der moderne Grostädter in seiner grünen Kleinstoase inmitten des Dickichts der Millionenstädte sehnt. Denn Sehnsucht nach der Provinz haben wohl nicht alle Bewohner von Metropolen wie Berlin (wo Illies seit einigen Jahren selbst lebt), Hamburg oder München. Wer nicht aus einer dieser idyllischen Orte weitab von Flughäfen und Autobahnkreuzen stammt, wird sich nur schwer in die Gedanken des Autors hineinversetzen können. Doch Illies lässt nicht locker. „Kein Wunder, dass es Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts plötzlich auf allen Straßen von viel zu großen Landrovern nur so wimmelte, die sichtbaren Zeichen für die Sehnsucht nach dem Land oder, besser gesagt: für die Sehnsucht nach der Sehnsucht nach dem Land“, schreibt er. Jedoch: Die Sehnsucht nach dem Land an einer (subjektiv betrachtet) großen Anzahl von britischen Geländewagen auf den mehrspurigen Citystraßen festzumachen, scheint etwas oberflächlich. Vielleicht gilt dies für Illies selbst und Menschen aus seinem privaten und beruflichen Umfeld. Aber es lässt sich wohl nur sehr schwer auf die gesamte Bevölkerung übertragen. Denn schließlich sehnt sich auch nicht jeder Großstädter, der eine Barbour-Jacke trägt, nach Feld und Wald. Die Tatsachen, dass dieses Buch in einem sehr kleinen Format gedruckt ist, der Umfang 205 Seiten nicht übersteigt und der Zeilenabstand sehr großzügig gewählt ist, lassen den Leser nicht mehr Zeit, als einen verregneten Sonntagnachmittag mit der Lektüre verbringen. Doch ein solcher lässt sich mit „Ortsgespräch“ recht kurzweilig verleben, da es insgesamt interessant geschrieben ist und mehrere Stellen zum Schmunzeln oder gar zum laut Lachen bietet. Florian Illies: Ortsgespräch. München: Karl Blessing Verlag, 2006. 205 Seiten, 16,95 Euro.