Kolumne
Beraten und verkauft, 23.09.2009
Perspektive Mittelstand
Schimäre Coaching-Boom
Wie Pressearbeit scheinbar Märkte schafft
„Jungs und Mädels, werdet Coach. Mit Coaching könnt ihr euch eine goldene Nase verdienen.“ Das suggerieren die Weiterbildungs- und Karriere-Magazine seit Jahren Einsteigern in den Bildungs- und Beratungsmarkt. Doch Zweifel sind hier angebracht.
Alle Jahre wieder: Die Weiterbildungsmagazine publizieren Trendberichte über die Entwicklung des Weiterbildungs- und Beratungsmarkt. Und mit nahezu gleichlautenden Worten wird in den Berichten regelmäßig verkündet: „Der Coaching-Markt boomt; Anbieter vermelden steigende Umsätze.“

So auch die Zeitschrift managerSeminare in ihrer Ausgabe September 2009. Dort wird berichtet, Coaching sei „das Weiterbildungsformat, das seit Krisenbeginn die stärksten Wachstumszahlen aufweist. Fast zwei Drittel der insgesamt 88 Coaching-Anbieter unter den Umfrageteilnehmern notieren eine steigende Nachfrage nach diesem Beratungsformat.“

Diese Meldung werden wie in den vergangenen Jahren die Coaching-Verbände sowie Ausbildungsinstitute für Coachs aufgreifen und lauthals die Botschaft „Coaching boomt“ in den Markt hinaus posaunen – schließlich erleichtern solche „Wachstumsprognosen“ das Akquirieren neuer Ausbildungsteilnehmer.

Typisch für Trendaussagen, wie die obengenannten, ist jedoch: Es wird nie die Basis genannt, von der aus der Zuwachs erfolgte. Haben die Bildungs- und Beratungsanbieter die mit Coaching erzielten Umsätze nun von drei auf vier Euro oder von 10 000 und 15 000 Euro gesteigert? Zudem werden in ihnen unter dem Begriff Coaching stets alle möglichen Arten von Qualifizierungs- und Fördermaßnahmen subsummiert. Nicht hervor geht denn auch aus diesen Studien in der Regel, dass es sich bei den sogenannten Coachings zumeist nicht um Coachings im klassischen Sinne, sondern um Trainings-on-the-job handelt – also arbeitsplatznahe, individuelle Fördermaßnahmen, die im Rahmen umfassender Qualifizierungsprogramme von Unternehmen erfolgen. So wird ein Coaching-Markt suggeriert, der faktisch nicht existiert.

Interessanter als Monat für Monat, Quartal für Quartal, Jahr für Jahr solche nichtssagenden „Coaching boomt“-Meldungen zu publizieren, wäre es, einmal zu analysieren: Wie viel Prozent ihrer Weiterbildungs- und Personalentwicklungsbudgets geben die Unternehmen real für Coaching-Maßnahmen aus (sowie für Training-on-the-jobs und für fachliche Beratungen, die Coaching-Elemente enthalten)?

Solange dies nicht geschieht, ist der Verdacht begründet: Bei dem sogenannten Coaching-Boom handelt es sich weitgehend um eine Schimäre, auf die zumindest Einsteiger in den Trainings- und Beratungsmarkt beim Aufbau ihrer beruflichen Existenz nicht setzen sollten.

Das reale Volumen des Coachmarkts dürften relativ zutreffend die Aussagen des Bereichsleiters Personal eines großen deutschen Finanzdienstleisters beschreiben, der 2008 fast zehn Millionen Euro für Personalentwicklungsmaßnahmen ausgab. Von diesem Gesamtetat wurden schlappe 9000 Euro, also magere 0,09 Prozent für das Coachen von sechs Führungskräften ausgeben.

Trotzdem wird der Finanzdienstleister regelmäßig in Artikeln als Beispiel dafür angeführt, welche große Rolle das Coaching mittlerweile in den Personalentwicklungskonzepten der Unternehmen spielt. Hierüber freut sich der Finanzdienstleister. Denn er hat erkannt: Das tut unserem Image, ein moderner, attraktiver Arbeitgeber zu sein gut – mindest ebenso gut, wie dass wir in unserer Marketingabteilung eine Vorzeige-Karrierefrau haben. Also investiert er auch in Coaching ein paar Euro.
ZUM KOLUMNIST
Über Bernhard Kuntz
Bernhard Kuntz ist ein ausgewiesener Kenner des Bildungs- und Beratungsmarkts aufgrund seiner Tätigkeit als Redakteur des Fachmagazins 'management & seminar' (1989 bis 1992) und seiner über 15-jährigen Arbeit als Fachjournalist für Personal- und ...
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