Ängstlichkeit als positiver Erfolgsfaktor für Verkäufer
Die fundierte Reiss Profile-Analyse der erfolgreichsten Kundenberater und Außendienstmitarbeiter eines großen Versicherers hat überraschende Ergebnisse gebracht. Persönlichkeitseigenschaften, die bislang als besonders förderlich für den beruflichen Erfolg galten, sind eher hinderlich.
Betrachten wir das Maß der Ängstlichkeit, das in der Motivanalyse über den Faktor „Emotionale Ruhe“ abgebildet wird: Gemeinhin sind wir davon ausgegangen, dass ein Außendienstmitarbeiter besonders stressresistent sein sollte. Das Gegenteil ist der Fall. Die erfolgreichsten sind eher stresssensibel, sehnen sich nach Stabilität und Planbarkeit. Sie sind ängstlich und versuchen, Unwägbarkeiten zu vermeiden. Interviews mit diesen erfolgreichen Vertrieblern haben gezeigt, dass sie bereits zu Jahresbeginn die Befürchtung haben, ihre Ziele nicht zu erreichen. Aus diesem Grund beginnen sie bereits frühzeitig, hart zu arbeiten und nicht erst dann, wenn es eng wird mit der Zielerreichung. Menschen mit wenig Angst vor Ungewissem lassen es häufig erst einmal „schleifen“ und am Ende fehlt ihnen womöglich die Zeit, vernachlässigte Aufgaben und Ziele noch aufzuholen. So wird ein überdurchschnittliches Bedürfnis nach emotionaler Stabilität und Ruhe zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor im Vertrieb.
Teamorientierung und Unabhängigkeit
Auch die Untersuchung der Teamorientierung, ermittelt über das Lebensmotiv „Unabhängigkeit“, bringt interessante Erkenntnisse ans Tageslicht. Die erfolgreichsten Vertriebler im Versicherungswesen sind an einer emotionalen Verbundenheit mit Ihren Kollegen eher wenig interessiert. Sie suchen eher Unabhängigkeit, Freiheit und Autonomie. Im Zweifel besorgen sie sich Daten und Informationen lieber selbst (z.B. aus dem Archiv oder der Datenbank), als ihre Kollegen zu fragen. Sie versuchen, mit vielerlei Mitteln „Abhängigkeit“ oder eine gefühlte „emotionale Schuld“ zu vermeiden. Sie sind also an „psychischer Nähe“ wenig interessiert, die „physische“ Nähe ist ihnen hingegen sehr wichtig. Die Spitzenverkäufer sind ungern alleine und fühlen sich eher wohl in Kontakt mit Menschen. Das können Kollegen in der Agentur oder natürlich auch Kunden sein. Geselligkeit ist ein Zustand, der ihnen Kraft gibt.
Ausgeprägtes Statusbedürfnis
Auffallend hoch sind bei den Spitzenverkäufern die Motive „Macht“ und „Status“ ausgeprägt. Wie zu erwarten, möchten die erfolgreichen Kundenberater gerne ihre eigenen Entscheidungen treffen und Menschen oder Situationen dominieren. In fast gleicher Intensität sind sie angetrieben von ihrem Statusmotiv. Die Zugehörigkeit zu einer besonders erfolgreichen Elite und der Besitz von Dingen oder Fähigkeiten, die andere nicht haben, geben ihnen den Kick. Dies kann sich in materiellem Status (PKW, Kleidung, Vermögen) oder auch in immateriellen Statusattributen wie Titel oder sozialem Ansehen ausdrücken.
„Rache/Kampf“ und „Ordnung“ sind zwei ebenso wichtige Persönlichkeitseigenschaften bzw. Motive. Das Rachemotiv treibt den Außendienstmitarbeiter konsequent an, im Vergleich zu den Kollegen besser da zu stehen. Auch die Durchsetzung gegenüber dem Kunden - gemäß dem Leitsatz „Bei einem ‘Nein‘ fängt der Verkauf erst an“ - scheint dort zu passen. Die Wettkampforientierung ist somit ein auffälliger Antreiber der besten Versicherungsleute im Vertrieb. Das Motiv „Ordnung“ steht für das Streben nach klaren Prozessen, Routinen und „sauberen Abläufen“. Im eher chaotischen und unstrukturierten, stark kundenorientierten Umfeld eines Maklers hilft dieses Motiv sicherlich, eine Struktur zu realisieren und auch hierdurch besondere verkäuferische Erfolge zu untermauern. Ein gutes Beispiel dafür ist die selbstgeschaffene Tages- und Wochenstruktur mit Kundenterminen.
Auch „harte“ Vertriebler sind Familienmenschen
Zwei eher private Motive sind besonders überraschend. Die erfolgreichsten Verkäufer zeigen eine hohe Fürsorge im familiären Bereich und sind sportlich sehr engagiert (Motiv „Körperliche Aktivität“). Das überdurchschnittliche Interesse an der Versorgung der Familie und das hohe Verantwortungsbewusstsein, das daraus resultiert, führen zu einem Streben nach effektiver und erfolgreicher Arbeit. Zudem bildet die Familie einen wichtigen und sinnstiftenden Ausgleich zur beruflichen Aktivität.
Zu guter Letzt scheint eine niedrige Ausprägung im Motiv „Ehre“ ein Erfolgsgarant zu sein. Es steht für das Verlangen und die Fähigkeit, sich nicht am vorgegebenen Wertekanon zu orientieren, sondern situativ- und kontextabhängig zu entscheiden. Menschen mit niedriger Ehre, also hoher Ziel- und Zweckorientierung sind damit in der Lage, auch einmal „Fünfe gerade sein zu lassen“ und sich an eigenen Regeln zu orientieren. Nicht das Prinzip, sondern die konkrete Zielerreichung steht im Vordergrund.
Bedeutung des Reiss Profiles für den Außendienst
Was können diese Erkenntnisse nun konkret für den Außendienst bedeuten? Die Untersuchung zeigt, dass das Reiss Profile ein aussagekräftiges Instrument für die Personalauswahl ist. Im Gegensatz zu anderen Persönlichkeitstools geht es bei der Analyse nicht um die Abbildung des Verhaltens oder der Kompetenz einer Person. Im Zentrum stehen vielmehr die ureigenen, inneren Antreiber und Motive, die sich schon in jungen Jahren manifestieren und die Voraussetzung für Verhalten und Fähigkeiten sind. Diese Motive sind zeitlich stabil, man kann sie nicht bewusst verändern. Will man besonders erfolgreiche Verkäufer einstellen, bietet das Profil für die Personalauswahl eine gute Basis für das Recruiting. Neben dem Einsatz für die Mitarbeiterauswahl hilft es zudem in der Mitarbeiterführung. Die Führungskraft, z.B. der Vertriebsleiter, kann die Kollegen auf der Grundlage des Motivprofils wesentlich individueller und somit erfolgreicher ansprechen, steuern und motivieren.
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