Pressemitteilung, 04.08.2006 - 10:54 Uhr
Perspektive Mittelstand
Arbeitsrecht / Sozialrecht: Kontroverse Auffassungen der Sozialgerichte zur frühzeitigen Arbeitsuche - Keine Sanktionen für Arbeitgeber, die Beschäftigte ungenügend informieren
(PM) , 04.08.2006 - Die Sozialgerichte bewerten die seit Sommer 2003 anzuwendende Sanktionsregelung bei verspäteter Arbeitssuche äußerst kontrovers. Die nachstehend zusammengefassten, entgegengesetzten erst- und zweitinstanzlichen Entscheidungen beschwören einen generellen Klarstellungsbedarf geradezu herauf. Einigkeit herrscht dagegen weitgehend darin, dass Betriebe für unterbliebene Informationen zur Meldepflicht nicht belangt werden können. Seit dem 1.7.2003 gilt die Regelung zur Frühzeitigen Arbeitsuche (§ 37b SGB III). Sie „verpflichtet“ Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsverhältnis endet, sich unverzüglich (= ohne schuldhaftes Zögern) nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes persönlich bei der Agentur für Arbeit zu melden. Im Falle einer verspäteten Meldung wird bei anschließender Arbeitslosigkeit das Arbeitslosengeld gemindert, abhängig vom letzten Bruttoentgelt für jeden Verspätungstag um 7, 35 oder 50 EUR, maximal für 30 Tage. Aber auch für Arbeitgeber gelten in diesem Zusammenhang besondere Pflichten. Sie „sollen ... Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses frühzeitig ... über die Verpflichtung unverzüglicher Meldung bei der Agentur für Arbeit informieren ...“ (§ 2 Abs. 2 SGB III). Für Arbeitgeber sieht das Gesetz jedoch keine Sanktionen vor, wenn diese deren Hinweispflicht verletzen. Über das Ziel dieser Regelungen, durch eine frühzeitige Einschaltung der Arbeitsagentur, Arbeitslosigkeit ggf. zu vermeiden, zumindest aber die Dauer der Arbeitslosigkeit zu verkürzen, besteht weithin Einigkeit. Die Rechtspraxis ist derzeit aber auch innerhalb der Instanzenrechtsprechung der Sozialgerichte umstritten. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob eine Minderung des Arbeitslosengeldes bei verspäteter Meldung auch dann gerechtfertigt ist, wenn der Arbeitnehmer keine Kenntnis von der Meldepflicht hatte. So gehen der 3. und der 5. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg davon aus, dass von einem Arbeitnehmer im Allgemeinen zu erwarten ist, dass er seine Rechtspflichten kennt. Eine unterlassene oder verspätete Meldung könne deshalb nicht durch Unkenntnis entschuldigt werden (Urteile vom 9.7.2004, L3 AL 1267/04; vom 22.9.2004 L 5 AL 1986/04; vom 3.11.2004 L 5 AL 3812/04). Genau entgegengesetzt hat der 12. Senat des gleichen Gerichts entschieden. Er vertritt die Auffassung, dass ein Arbeitnehmer, der über die Meldepflicht nicht informiert war, bei verspäteter Meldung nicht schuldhaft gehandelt hat und deshalb eine Leistungsminderung nicht hinnehmen muss (Urteil vom 18.11.2004, 12 AL 2249/04). Gleicher Auffassung ist der 1. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, der zur Begründung u.a. darauf hinweist, dass die Aufklärungskampagnen über die Neuregelung den einzelnen Bürger „nur in geringem Maße“ erreicht haben (Urteil vom 21.9.2004 L 1 AL 51/04). Das Sozialgericht Frankfurt/Oder hält eine Minderung bei verspäteter Meldung in der jetzigen Form gar generell für unverhältnismäßig und hat die Regelung deshalb dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt (Urteil vom 1.4.2004, S 7 AL42/04).Einig sind sich die Sozialgerichte hingegen bei befristeten Arbeitsverhältnissen. Hier fordert das Gesetz nach seinem Wortlaut eine Meldung „frühestens drei Monate“ vor dem Beschäftigungsende. Nach dem rechtlichen Ergebnis der Regelung ist eine Meldung aber vielfach „spätestens drei Monate“ vor dem Beschäftigungsende erforderlich, um eine Leistungskürzung zu vermeiden. Eine derart unklare Formulierung, die dem Arbeitnehmer seine Rechtspflicht nicht klar und eindeutig benenne, kann nach Auffassung der Sozialgerichte nicht zu Lasten der Betroffenen gehen und deshalb keine Grundlage für eine Leistungsminderung sein (SG Dortmund, Urteil vom 14.7.2004, S 33 AL 169/04; SG Aachen, Urteil vom 24.9.2004, S 8 AL 81/04; SG Stuttgart, Urteil vom 26.1.2005, S 15 AL 6053/04).Weitgehend einheitlich verneint wird auch eine Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers für den Fall, dass dieser seiner Hinweispflicht nicht nachkommt. So sieht das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in dem Informationsgebot in erster Linie einen „Programmsatz“ und Appell an die Arbeitgeber. Damit nehme das Gesetz dem Arbeitnehmer nicht die - vorrangige - Selbstverantwortung ab, sich unverzüglich arbeitsuchend zu melden. Insoweit könnten auch die Rechtsfolgen einer verspäteten Meldung nicht auf den Arbeitgeber verlagert werden (Urteil vom 29.9.2004, 12 Sa 1323/04; im Ergebnis auch: Arbeitsgericht Verden, Urteil vom 27.11.2003, 3 Ca 1567/03). Dieser Auffassung ist grundsätzlich auch das Landesarbeitsgericht Hamm/Westfalen. Es lässt allerdings offen, ob eine besondere Fürsorgepflicht des Arbeitgebers dann besteht, wenn er einen Aufhebungsvertrag vorschlägt und damit eine so große Mitverantwortung an dem Eintritt der Arbeitslosigkeit übernimmt, dass bei fehlendem Hinweis auf die frühzeitige Arbeitsuche ein Schadenersatzanspruch gerechtfertigt sein kann (Urteil vom 7.9.2004, 19 Sa 1248/04). Fazit: Bei aller Sinnhaftigkeit des Regelungsziels der frühzeitigen Arbeitsuche besteht aktuell deutlicher Klarstellungsbedarf. Ob dieser durch Entscheidungen der obersten Bundesgerichte oder durch eine vorherige Nachbesserung der Regelung durch den Gesetzgeber erreicht wird, muss abgewartet werden. Praxistipp:Für Arbeitgeber bleibt als Konsequenz: Wer arbeitsrechtlichen Streit um die Verletzung von Fürsorgepflichten und evtl. Schadenersatzforderungen vermeiden will, sollte im Zusammenhang mit jeder Kündigung, Aufhebungsvereinbarung oder Befristung eines Arbeitsverhältnisses den Arbeitnehmer auf die Regelung zur frühzeitigen Arbeitsuche hinweisen und sich dies ggf. schriftlich bestätigen lassen!Noch Fragen? Wir helfen Ihnen gerne weiter.Herzliche Grüße aus PaderbornIhr rechtsanwalts-TEAM.de Warm & KanzlspergerMartin J. WarmRechtsanwaltFachanwalt für Steuer- und Arbeitsrecht