Fachartikel, 14.02.2014
Perspektive Mittelstand
Presidents Diagnosis
Im Top-Management die Strategieumsetzung sicherstellen
Wie konsequent bei Lean-Management-Projekten beschlossene Maßnahmen umgesetzt werden, hängt auch davon ab, wie stark sich das Top-Management – für die Mitarbeiter erkennbar – engagiert. Ein Instrument, um das Top-Management in die Strategieumsetzung einzubinden, ist die sogenannte Presidents Diagnosis, bei der die Topmanager alle Bereiche und Werke des Unternehmens besuchen.
Wenn Unternehmen herausfordernde strategische Ziele erreichen möchten, benötigen sie ein Reviewsystem, das sicherstellt, dass
  • die beschlossenen Maßnahmen konsequent umgesetzt werden und
  • die definierten Ziele erreicht werden.
Hierfür hält das auch Policy Deployment genannte Managementsystem Hoshin Kanri in Ergänzung zu den traditionellen Methoden eine neuartige Review-Methode bereit: die sogenannte Presidents Diagnosis. Sie wird so genannt, weil bei ihr der Präsident (beziehungsweise das Top-Management) persönlich alle Werke, Standorte und/oder Bereiche des Unternehmens besucht. So besucht zum Beispiel der Präsident von Toyota einmal pro Jahr alle Werke, um deren Fitness zu beurteilen. Die Presidents Diagnosis bindet also das Top-Management an ein systematisches Review, das die Umsetzung der Strategie überprüft.

Die Presidents Diagnosis, die zu den Hoshin Kanri-Standardtools zählt, eignet sich vorzüglich, um strategische Veränderungen voranzutreiben. Sie ist außerdem ein bewährtes Frühwarnsystem. Während beim Shopfloor-Management der Fokus darauf liegt, die Ursachen für kurzfristige Abweichungen oder Fehler zu entdecken und zu beseitigen, konzentriert sich die Presidents Diagnosis auf das Überprüfen der Entwicklung des Unternehmens und seiner Bereiche.

Bei der Presidents Diagnosis wird der Fortschritt des Unternehmens anhand folgender elf Kategorien gemessen:
  1. Management,
  2. Finanzmanagement,
  3. Human Resources,
  4. Supply Chain Management,
  5. IT
  6. Qualität,
  7. Vertrieb und Marketing,
  8. Engineering,
  9. Herstellung,
  10. Instandhaltung
  11. Material und Logistik.

Jede Kategorie wird dabei entsprechend ihres aktuellen Stands in den Phasen Plan, Do, Controll, Act des PDCA-Zyklus bewertet. Zusätzlich wird eine fünfte Phase, die Scan-Phase, hinzugefügt, die dem eigentlichen PDCA-Zyklus vorgelagert ist und besagt: Ein Problem (oder eine Soll-Ist-Abweichung) wurde erkannt und seine Ursache bereits analysiert. Es wurde aber noch kein Plan zur Beseitigung erstellt.

Die Presidents Diagnosis besteht aus drei Phasen:

  1. Selbst-Diagnose der Bereiche/Werke (durch die Hoshin-Teams),
  2. (die eigentliche) Presidents Diagnosis durch das Top-Management und
  3. Anerkennung der Zielerreichung durch das Top-Management.
Phase 1: Selbst-Diagnose der Bereiche/Werke (durch die Hoshin-Teams)

Anders als der Name nahelegt, ist an der Presidents Diagnosis nicht nur das Top-Management beteiligt. Hierbei handelt es sich vielmehr um ein unternehmensweites System zur Selbstbewertung durch alle Prozess-Beteiligte. Alle Bereiche beziehungsweise Hoshin-Teams nehmen einmal jährlich eine Selbst-Diagnose der Entwicklung ihres PDCA-Zyklus vor. Hiermit sind folgende Teilaufgaben verbunden:

  • Performance-Kennzahlen zusammenstellen: Für das Review werden Informationen über die Performance benötigt. Sind ein Shopfloor-Management und Hoshin-Boards installiert, stehen diese Informationen automatisch zur Verfügung.
  • Hoshin-Teams vorbereiten: In der Vorbereitung auf die Selbst-Diagnose überprüft jedes Hoshin-Team die Zielerreichung sowie ihre A3-Reports. Außerdem stellen sie sicher, dass alle Teammitglieder die Kategorien der Presidents Diagnosis sowie die damit verbundene PDCA-Logik kennen. Mit einer sogenannten Diagnostic-Scorecard werden die elf Kategorien bewertet und den fünf Phasen zugeordnet. Dabei wird für Scan 1 Punkt vergeben und  für Plan 2 Punkte, für Do 3 Punkte, für Check 4 Punkte und für Act 5 Punkte.
  • Diagnose-Formular vorbereiten: Bei der geplanten Begehung des eigenen Bereichs sollen alle Teammitglieder für jede zu bewertende Kategorie und/oder Unterkategorie ein Diagnose-Formular ausfüllen. Dieses gilt es zu erstellen. Ganz oben in dem Formular werden die relevanten Kategorien, die untersuchte Einheit und das Diagnose-Team benannt. Außerdem formuliert das Hoshin-Team Diagnosefragen, auf deren Basis die Bewertung und die Zuordnung zur PDCA-Phase erfolgen.Bereichs-Begehung: Bei der Bereichs-Begehung überprüfen die Teammitglieder, inwieweit seit der letzten Diagnose Verbesserungen erzielt wurden. Die Begehung sollte außer den produktiven Bereichen, auch die Service- und administrativen Bereiche umfassen.  
  • Beobachtungen dokumentieren: Während der Begehung notieren die Teammitglieder auf ihren Diagnoseformularen Beobachtungen, die ihre Einschätzungen und Bewertungen unterstützen.
  • Analysieren, Entwicklung bewerten, Radar-Chart erstellen: In Anschluss an die Begehung trifft sich das Hoshin-Team, um die Bewertung für ihren Bereich vorzunehmen. Die Bewertungstabelle (siehe Abbildung 1) erleichtert es, sich im Team auf einen Score zu einigen. Nach der Bewertung wird ein Radar-Chart erstellt, um den Entwicklungsverlauf der einzelnen Kriterien besser erkennen zu können.

Phase 2: (Die eigentliche) Presidents Diagnosis durch das Top-Management

In Vorbereitung auf die jährliche Presidents Diagnosis überprüft und interpretiert das Top-Management die Ergebnisse der Selbst-Diagnosen der Hoshin-Teams. Es formuliert Fragen und Anmerkungen hierzu und lässt diese den Teams vor dem Besuch zukommen. Nach den Besuchen nimmt das Management eine Gesamtbewertung des Unternehmens vor und teilt diese inklusive schriftlicher Empfehlungen den Hoshin-Teams mit. Die einzelnen Schritte der Presidents Diagnosis sind:

  • Vorbereitung des zu besuchenden Bereichs: Vor der  Begehung schickt das Top-Management seine Fragen und Anmerkungen aufgrund der Selbst-Diagnose des Bereichs sowie die Agenda an das zu besuchende Team.
  • Hoshin-Team erstellt einen Vorbesuchs-Bericht: Anhand der Fragen und Anmerkungen verfasst das Hoshin-Team vor dem Besuch einen Bericht und schickt diesen an das Top-Management. Dieser Bericht sollte konkret und nicht länger als zwei Seiten sein. Er kann  jedoch A3-Reports im Anhang enthalten.
  • Top-Management bereitet das Diagnose-Formular vor: Für die unternehmensweite Diagnose formuliert das Top-Management Fragen für jedes Kriterium. Diese sind weiter als die Fragen bei der Selbst-Diagnose durch die Hoshin-Teams gefasst. Das Diagnose-Formular des Top-Managements sollte zum Beispiel auch Fragen enthalten, die den Strategieumsetzungsprozess betreffen.
  • Top-Management besucht das Werk/den Bereich: Der Besuch eines Werkes oder eines Standortes durch das Top-Management dauert circa einen Tag; bei Bereichen ist er meist kürzer. Die Diagnose durch das Top-Management verläuft wie die Selbst-Diagnose. Der Fokus der Presidents Diagnosis liegt jedoch auf der Integration und der Umsetzung von Methoden, Systemen usw. sowie der Entwicklung von Ressourcen und Fähigkeiten. Zweck des Besuchs ist es, wettbewerbsfähige Ressourcen zu entwickeln – und nicht Schuldzuweisungen zum Beispiel bei einer schlechten Performance vorzunehmen. Entsprechend sollte das Top-Management auftreten.
  • Top-Management nimmt eine unternehmensweite Bewertung vor: Wie bei der Selbst-Diagnose der Hoshin-Teams trifft sich das Top-Management im Anschluss an den Besuch, um die Bewertung des besuchten Werks oder Bereichs beziehungsweise Gesamtunternehmens vorzunehmen. Das Ergebnis wird ebenfalls mit Radarcharts, die die Veränderungen im Vergleich zum Vorjahr sichtbar machen, visualisiert.
  • Top-Management gibt schriftliches Feedback: Um das verbale Coaching und Mentoring während der Diagnose zu verfestigen, verfasst das Top-Management ein schriftliches Feedback mit den Beobachtungen beim Besuch und stellt es als Bericht mit der Bewertung den betreffenden Standorten oder Bereichen zur Verfügung. Dieses Feedback enthält unter anderem:

    - positive Ergebnisse,
    - identifizierte Verbesserungsbereiche,
    - empfohlene kurz- und langfristige Maßnahmen,
    - Notwendigkeit von Schulungen und Trainings.

Wichtig ist, dass das Positive bestärkt wird und Wege zur Optimierung empfohlen werden.

Schritt 3: Anerkennung der Zielerreichung durch das Top-Management

Nach der Presidents Diagnosis sollte die Zielerreichung jedes Teams gewürdigt und der Erfolg gefeiert werden. Feiern ist der beste Weg, um Geleistetes anzuerkennen und die Teams, Einheiten und Bereiche noch stärker zusammenzubringen. Dieses Feiern kann im Rahmen einer Veranstaltung erfolgen, bei der das Top-Management wichtige Ergebnisse und Erkenntnisse der Presidents Diagnosis vorstellt und die Leistung der Mitarbeiter würdigt.

Die Presidents Diagnosis hat sich bei Strategieumsetzungsprojekten als Review- und Steuerungsinstrument bewährt. Nicht nur, weil sie den Review-Prozess ausgehend von den Zielen sehr stark systematisiert und operationalisiert, weit entscheidender ist: Das Top-Management wird hierdurch aktiv in den Umsetzungsprozess einbezogen und kommuniziert mit den Umsetzungsverantwortlichen auf der operativen Ebene über das (Noch-nicht-)Erreichte. Das schärft das Bewusstsein des Top-Managements für die Herausforderungen, vor denen die Werke und Bereiche im Alltag stehen. Zudem wird hierdurch an die Bereiche das Signal gesandt: Das Top Management misst einer konsequenten und nachhaltigen Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen eine sehr hohe Bedeutung bei. Das erhöht die Verbindlichkeit in der gesamten Organisation. Insofern ist die Presidents Diagnosis auch ein kulturveränderndes Instrument – unter anderem weil das Top-Management auch eine Vorbildfunktion vor allem für die Führungsmannschaft im Unternehmen hat.

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ZUM AUTOR
Über Dr. Daniela Kudernatsch
KUDERNATSCH Corporate Consulting & Solutions
Dr. Daniela Kudernatsch ist Inhaberin der Unternehmensberatung KUDERNATSCH Consulting & Solutions in Straßlach bei München, die Unternehmen beim Umsetzen ihrer Strategie im Betriebsalltag unterstützt. Die promovierte Betriebswirtin beschäftigte sich als eine der Ersten im deutschsprachigen Raum mit der Balanced Scorecard und war in mehr als 60 Unternehmen an Strategieumsetzungsprojekten beteiligt. Sie ist Autorin mehrerer Fachbücher zum Thema Strategieumsetzung
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