Pressemitteilung, 23.12.2008 - 21:08 Uhr
Perspektive Mittelstand
Das Vermächtnis der Pessimisten - Wie der Mangel an Perspektiven beerbt wird
(PM) , 23.12.2008 - Von Oliver W. Schwarzmann, Vordenker & PublizistAber wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe! So liest es sich in Wilhelm Busch’s „Max und Moritz“ und einmal mehr verleiht uns dieser possenhafte Lebensblick einen wunderbaren Kommentar auf die aktuelle Krise. Erschallt es doch von überall her – die Zeiten sind schlecht und sie neigen dazu, noch schlechter zu werden. „Wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe!“, ertönen mittlerweile auch Stimmen aus berufenem Munde: Konjunkturexperten, Wirtschaftsweise und Chefvolkswirte beehren uns einmütig mit Untergangsszenarien – Menetekel, so düster wie in den letzten 60 Jahren nicht mehr!Tja, wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe! Auf welches Ende eigentlich?Das Ende des Wachstums?Das Ende der Ökonomie?Oder gar das Ende der Zivilisation?Keine Krise wird so heiß erlebt, wie sie angekündigt wird. Wer die Apokalypse beschreit, will anderes – Aufmerksamkeit, Bewegung erzeugen, sie gar vermeiden.Oder Raum schaffen für Forderungen nach Erlösung. Doch – wer wird uns mit welchen Maßnahmen befreien von der Finanzkrise?Der Staat?Mit Subventionen?Die Wirtschaft?Mit Produktionsstopps und neuen Beschäftigungspakten?Der Verbraucher?Mit ungestümer Konsumlust?Oder das Heer der Wirtschaftsexperten?Mit ihren Vorhersagen?Die Krise spaltet. Sie spaltet die Gesellschaft in Pessimisten und Optimisten. Während Letztere die Chancen einer grundlegenden Wertbereinigung bilanzieren, beschwören die anderen mit eherner Mine den konjunkturellen Weltuntergang. Beiden Gruppen sollten wir gehörig misstrauen. Sowohl den überschwänglichen Positivdenkern (die rosarote Brille ist das Accessoire der Leichtgläubigen und Oberflächlichen).Als auch den ökonomischen Miesepetern. Den Schwarzsehern ohnehin (wer das Unheil voraussieht, leidet zweimal). Dem Krisenhorizont mit simplen Entweder-oder-Formeln entgegen segeln zu wollen, wird der mittlerweile erreichten Komplexität des Wirtschaftskosmos nicht gerecht. Und bitte – die nicht-lineare Dynamik ökonomischer Wechselwirkungen lässt sich nicht mit der Rechenschiebermathematik kausaler Ursache-und-Wirkungs-Gleichungen einfangen. Prognosen sind Instrumente einer psychologisch extrem wirksamen Erwartungsdiplomatie. Ihr Spielfeld ist fern von den in Wirtschaftskreisen eigentlich hochverehrten Fakten: Beim Vergleich der von führenden Konjunkturforschern ausgegebenen Vorhersagen der letzten 15 Jahre, lässt sich deren mangelnde Wahrscheinlichkeit geradezu empirisch nachweisen. Verheerend also, ließen wir uns von den Vorhersagen in die Zukunft leiten. Prognosen sind Politik; wir sollten sie als eine Art Gegenentwurf zur Realität verstehen. Vorhersagen wollen ja keine tatsächliche Wirklichkeit gebären, sondern das gegenwärtige Verhalten verändern.Was eine andere Zukunft zur Folge hat. Und was die Vorhersage ad absurdum führt. Was wiederum kein Fauxpas ist: Der Erfolg einer Prognose liegt nicht in der exakten Schilderung zukünftiger Geschehnisse, sondern meist in deren Verhinderung. Prognosen gehören also in das Reich des Fiktiven, wo sie in bester ökonomischer Gesellschaft sind – gehören dazu doch die Bildung der Marktpreise und nicht zuletzt der Glaube an Kapital und Geld. Die Zukunft lässt sich in kein hellseherisches Korsett spannen, vielmehr ist das Zukünftige ein Stoff, den es richtig zu schneidern gilt. Will sagen: Die Möglichkeiten der Zukunft sind nichts anderes, als wunderbare Angebote zur Gestaltung der Realität. Dass wir Letztere und jede Form von Zukunft in der Hand und im Blick haben können, zeigt sich am Effekt der „selbsterfüllenden Prophezeiung“. Dieser verblüffende Vorgang führt uns immer wieder vor Augen: Vorausgesagte Befürchtungen oder gar ironische Vorahnungen bewahrheiten sich mit erstaunlicher Vehemenz. Warum? Weil sich das eigene Handeln der Macht eigener Perspektiven und Zukunftsvorstellungen unterwirft. Je unbekümmert man seinen Visionen traut, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit ihrer Realisierung. Hier haben wir es mit einem suggestiven Mechanismus zu tun, den es nicht zu mystifizieren, sondern zu respektieren gilt und eben dieser sollte Einbettung finden in eine produktive Zukunftsgestaltung. Die selbsterfüllende Prophezeiung lässt sich allerdings nicht als definitive Planungssicherheit verstehen und zur geradlinigen Zielerfüllung verwenden. Der Weltengang, in den wir eingebunden sind, ist zu komplex, als dass er eine lineare Wunscherfüllung zuließe, vielmehr appelliert die selbsterfüllende Prophezeiung an unsere mentale Verfassung. Und diese stellt in diesem Zusammenhang die Frage: Wollen wir die Möglichkeiten der Zukunft nutzen oder geht es bei der Gestaltungskunst des Künftigen lediglich um die Bestätigung von vergangenheitsbezogenen Erwartungen? Letztere werden dann sicherlich enttäuscht, denn Entwicklungen entspringen nicht aus der Historie, sondern kommen auf uns zu – im wahrsten Sinne der Bedeutung: als Optionen aus dem unbegrenzten Potenzial des Zukünftigen. Die Zukunft ist die Summe aller Möglichkeiten. Freilich, Vergangenes wirkt in das Zukünftige hinein, bestimmen es aber nicht. Vergangene Strukturen bilden vielmehr Abdrücke in der Zeitkulisse, die uns Vergleiche, Urteile und Bestimmungen erlauben. Nicht mehr und nicht weniger. Die Vorhersage der Apokalypse will uns nicht sehenden Auges in den Untergang marschieren lassen. Mehr noch: Apokalypsen lassen sich nicht vorhersagen – die Gefahr, dass wir sie zu verhindern wüssten, ist zu groß. Was nicht bedeutet, dass Weltuntergänge auszuschließen wären – ihre Ankunft ist es, die sich jeglicher Berechnung entzieht.Dennoch wirken die Negativbeschwörungen ebenfalls wie eine Art selbsterfüllender Prophezeiung. Es handelt sich dabei allerdings um einen verwandten Effekt; was fehlt, ist das Unbekümmerte. Hier regiert vielmehr die Angst, die sich zur kollektiven Befürchtungsspirale verdichtet, die letztlich den Apokalyptikern Recht zu geben scheint. Der Unterschied ist, dass wir in dieser Spirale eben nicht unseren Zukunftsvorstellungen vertrauen und die Sympathie für das Künftige in der Gestaltung der Gegenwart vermissen lassen. Wir bremsen die Zukunft aus – die ökonomische Bremsspur der aktuellen Krisenängste überdeckt die sich nach wie vor bietenden Möglichkeiten.Es fehlen die produktiven Visionen, die Zukunftsvorstellungen, die Utopien – es herrscht Unsicherheit. Und Unsicherheit ist nichts anderes, als ein Mangel an Perspektiven. Freilich werden wir uns verändern müssen – und wann, wenn nicht jetzt in der Sensibilität einer Krise? Doch Veränderungen aus ängstlichem Zwang geboren, führen zu neuen Zwängen. Warum stellen wir nicht einmal unsere mentalen Kräfte über die ökonomischen Mechanismen? Zumal wir doch wissen, dass die Wirtschaft ein Reich aus Fiktionen ist.Trauen wir uns nicht? Überlassen wir deshalb die Interpretation unserer Fantasien den Experten?Dabei besteht doch immer die Gefahr, dass Letztere nicht unsere Träume und Perspektiven, sondern eigene Interessen bestimmen. Wie wir neuerdings ja wissen. Jeder hat die Zukunft, die er sich gestaltet.Das ist die wirkliche Botschaft der aktuellen Situation.Aber wehe, wehe, wehe! Wenn ich jetzt schon auf das Ende der Krise sehe!Da könnten mich manche Experten für verrückt halten.Na, wenn schon.