Fachartikel, 04.04.2012
Perspektive Mittelstand
Nachhaltige Unternehmensführung
Mittelstand verpflichtet
Bluff, Blasen, Pleiten – in unschöner Regelmäßigkeit lesen wir von Fällen, in denen Unternehmer scheitern, weil sie nicht ehrlich gewirtschaftet haben. Auf diese Fälle folgt ebenso regelmäßig die Ankündigung einer „Renaissance der Werte“, die dann regelmäßig ausbleibt. Zumindest in der Welt der Konzerne. Der deutsche Mittelstand indes pflegt seine eigene Ethik der Pflicht – und fährt damit sehr erfolgreich.

Abseits der öffentlichen Erregung über gewissenlose Blender und Zocker in der Konzernwelt arbeiten hierzulande viele Tausend Mittelständler ehrlich, erfolgreich und vor allem pflichtbewusst. Über 90 Prozent der Unternehmen zählen zu den KMU, und mehr als zwei Drittel der Arbeitnehmer sind hier tätig. Über die meisten von ihnen wird selten berichtet. Die meisten von ihnen richten sich nicht nach den gängigen Management-Empfehlungen zu Steuerung, Strategie, Management und Führung, sie ignorieren die jüngsten Losungen der Business-Gurus und scheren sich nicht um Management-Modetrends mit wohlklingenden Markennamen und über‘s Knie gebrochenen Herleitungen. So kommt es immer wieder zu dem Befund: Mittelständler sind erfolgreich, obwohl sie – oder weil sie – vieles anders machen. Doch was genau machen sie anders?

Pflichtgefühl, Leidenschaft und Fleiß

Nicht die Zahlen stehen bei Mittelständlern im Mittelpunkt, sondern eine sehr eigenwillige Balance von emotionaler Zusammenarbeit und klarer Analyse, von visionärer Kraft und praktischer Intelligenz – im Kern getrieben starken Werten und von einem überaus starken Sinn für eine Tugend, die uns heute geradezu altmodisch vorkommt: die Pflicht.

Ob es nun schwäbische, hanseatische, bayerische oder preußische Tugenden sind, die bei hiesigen Mittelständlern wirksam werden, spielt keine große Rolle. Das Ergebnis ist immer ähnlich: Im Zentrum steht die Verpflichtung gegenüber Kunden, Mitarbeitern und gegenüber der eigenen Familie. Konkret heißt das Zuverlässigkeit, die Orientierung an der Aufgabe, Leidenschaft und Fleiß. Und umgekehrt heißt das: Kurzfristiges Profitstreben steht nicht im Mittelpunkt, ebenso wenig die Orientierung an schillernden Persönlichkeiten, das opportunistische Besetzen populärer Themen und die Inszenierung von Erfolg anstelle einer echten Leistung. Das zeigt beispielhaft die Geschichte zweier typischer deutscher Mittelständler, die seit mehreren Generationen mit viel Herzblut und Fleiß von Unternehmerfamilien geführt werden:

Unternehmensgruppe Sülzle-Stahlpartner-Kopf

1880 eröffnen Wilhelm Christian Sülzle und Rosine Margarete Sülzle am Marktplatz in Rosenfeld eine Zeugschmiede. Der innovative Gründer arbeit bereits mit bis zu vier Meter großen, waagrecht liegenden Zahnrädern, die, durch Ochsen gezogen, eine 500-fache Übersetzung ermöglichen. Sein Sohn Wilhelm Karl Sülzle erfindet einen Pflug für schräge Flächen, so dass in der Region zehn Prozent mehr Fläche genutzt werden konnte. Nach den Wirren des Ersten Weltkrieges übernimmt Wilhelm Karl Sülzle die Geschäftsführung; in den Jahren des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkriegs tritt 1953 dessen Sohn Helmut Sülzle in das Unternehmen ein. Das Unternehmen wird geteilt und neu aufgestellt. Nach seinem plötzlichen Tod 1988 übernimmt seine Frau Edith Sülzle die Führung – die drei Söhne sind noch in der Ausbildung. Zwei Jahre später tritt Heinrich Sülzle in das Unternehmen ein, 1995 und 1998 seine beiden Brüder. Ab 2000 gründet und übernimmt die SSK-Gruppe insgesamt neun (!) weitere Standorte – und trotzt dem Auf und Ab der Stahlbranche mit innovativen Produkten und Dienstleistungen sowie mit einer konsequenten Kunden- und Mitarbeiterorientierung.

Weisses Bräuhaus G. Schneider & Sohn

1872 macht sich Georg I. Schneider als erster bürgerlicher Weissbierbrauer im Weissen Bräuhaus in München selbständig. Er kauft eine still gelegte Brauerei und gründet mit seinem Sohn Georg II. Schneider die Firma G. Schneider & Sohn. Beide sterben im selben Jahr, darum übernimmt Georg III die Geschäfte als 20jähriger. Auch er verstirbt jung, mit nur 35 Jahren. Seine Frau Mathilde Schneider übernimmt die Leitung der Brauerei, kreiert 1907 das weltweit erste Weizenstarkbier und baut das Unternehmen zur größten Weissbierbrauerei Süddeutschlands aus. Der Erste Weltkrieg ruiniert das Unternehmen. Ab 1924 baut Georg IV. Schneider die Brauerei wieder auf und erheblich aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg steht Georg IV. Schneider erneut vor den Trümmern des Familienunternehmens – und entschließt sich wieder zu einem Aufbau der Brauerei. 1958 übernehmen Georg V. Schneider und 2000 Georg VI. Schneider die Leitung der Brauerei, beide setzen erfolgreich auf Innovation: in der Produktion genauso wie bei den Produkten.

Jeden Tag Verantwortung tragen

„Um als Unternehmer zu bestehen, sind Gottvertrauen und Mut, Fleiß, Ausdauer, Sparsamkeit, Weitblick und ein starker Rückhalt in der Familie notwendig“, unterstreicht Heinrich Sülzle, Geschäftsführer der Stahlpartner-Sülzle GmbH. Er hält viel von den typisch schwäbischen Tugenden: „Diese Tugenden müssen wir uns bewahren, vor allem die Zuverlässigkeit“, so Sülzle. Allerdings ist er auch davon überzeugt, dass der Mittelstand noch stärker wäre, wenn er „Mut zu mehr Mut“ hätte.

Für Georg VI. Schneider verkörpert der deutsche Mittelstand heute vor allem die Werte „Leidenschaft und Fleiß“. Doch: „Bei aller Leidenschaft und allem Fleiß ist der Mittelstand meiner Meinung nach viel zu leidensfähig“, sagt der Geschäftsführer des Bräuhauses. „Er duldet zu viel. Der typische Mittelständler ist sich seiner Stärke nicht genug bewusst. Er zettelt keine Revolution an, weil er sagt: ‚Ich habe keine Zeit, ich muss zum Kunden!‘“

Werte wachsen in schwierigen Zeiten

Unternehmen wie Weisse Bräuhaus G. Schneider & Sohn und die Unternehmensgruppe SSK machen das, was die Generationen vor ihnen auch schon getan haben: Sie krempeln gemeinsam die Ärmel auf, wenn der „Karren aus dem Dreck“ gezogen werden muss. Sie suchen nach neuen Wegen, wenn es auf den alten nicht mehr weiter geht. Und wenn Not am Mann ist, reißen die Frauen das Steuer herum.

Beide Mittelständler sind geprägt durch die Katastrophen, denen sie sich stellen mussten: Äußere Katastrophen wie die beiden Weltkriege, und innere wie den plötzlichen Tod der Unternehmenslenker. Jedes Mal sind die Unternehmerfamilien zusammengerückt, haben sich auf ihre unternehmerischen Tugenden und Pflichten besonnen – und haben weiter gemacht. Mit großem Erfolg. Es waren diese Katastrophen, durch die sie sich bewusst auf den Spannungsfeldern verortet haben, die im Hintergrund unserer Wirtschaft wirksam sind. Die Spannung zwischen

  • Innovation und Tradition,
  • Risiko und Sicherheit,
  • Vertrauen und Kontrolle,
  • Idealismus und Gewinn.

Eine wirklich werteorientierte Führung ist nur möglich, wenn sich Unternehmer, Führungskräfte und Mitarbeiter immer wieder bewusst machen, wie die Spannungsfelder aussehen, in denen sie sich bewegen. Auflösen lassen sie sich nicht! Heute mag es sinnvoll sein, eher in die eine Richtung zu entscheiden, morgen kann es wieder anders aussehen. Natürlich wäre es einfacher, wenn wir alles nach Schema F entscheiden könnten. Doch die Erfüllung unternehmerischer Pflicht ist naturgemäß nicht einfach, sondern eine große Herausforderung. Jeden Tag.

Unternehmer und Führungskräfte im deutschen Mittelstand nehmen diese Herausforderung an und werden ihrer Verantwortung immer wieder neu gerecht. Die meisten erfüllen diese Herausforderung mit Bravour – aber mit großer Bescheidenheit, so dass die Öffentlichkeit kaum Notiz davon nimmt.

Wir sollten weniger nach der „Renaissance der Werte“ rufen und vielmehr die starke Haltung anerkennen, die in so vielen Unternehmen seit Generationen wirksam ist. Die Haltung: Mittelstand verpflichtet.

QUERVERWEIS
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ZUM AUTOR
Über Dr. Dr. Cay von Fournier von Fournier
SchmidtColleg GmbH & Co. KG
Dr. Dr. Cay von Fournier ist seit seinem 22. Lebensjahr Unternehmer. Zudem ist er Arzt und Trainer für Unternehmensführung. Der promovierte Mediziner und Wirtschaftswissenschaftler lernte vor 20 Jahren das Führungssystem „UnternehmerEnergie“ des SchmidtCollegs kennen und wendete es erfolgreich in seinem Unternehmen an. Seit 2002 ist er Eigentümer des SchmidtColleg und widmet sich ganzheitlicher Unternehmensführung und praktischem Gesundheitsmanagement.
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