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Fachartikel, 25.09.2014
Knackpunkt Personalauswahl
Bewerberauswahl - Kopf oder Bauch?
Bei einer Personalentscheidung gibt es keinen Algorithmus, um die beste Lösung zu berechnen. Dennoch gaukeln Wissenschaftler vor, mit psychometrischen Tests und anderen wissenschaftlichen Methoden Fehlentscheidungen bei der Bewerberauswahl vorbeugen zu können. Eine Sicherheit, die es nicht geben kann.
Der Informationsflut sind wir alle ausgesetzt. Komplexe Entscheidungen müssen heute alle treffen, Produzenten und Verbraucher, Unternehmer und Arbeitnehmer. Der Max-Planck-Forscher Gerd Gigerenzer („Risiko“, 2013) meint dazu: Wir denken, Ungewissheit sei etwas, was wir uns nicht wünschen. In der besten aller Welten sollten alle Dinge gewiss sein, absolut gewiss und sicher. Deshalb schließen wir Versicherungen gegen alles ab, schwören auf Horoskope oder beten zu Gott. Wir sammeln Terabytes von Informationen, um unsere Computer in Kristallkugeln zu verwandeln. (...) Würden wir mit Gewissheit alles über die Zukunft wissen, so gäbe es in unserem Leben kaum Anlass für Gefühle mehr. Weder Überraschung noch Vergnügen, weder Freude noch Vergnügen, weder Freude noch Aufregung – wir wüssten ja alles schon längst. (...) Sollte unsere Welt jemals gewiss werden, wäre unser Leben todlangweilig.

Heuristik: Ein einziger Grund reicht aus


Das minimalistische Entscheidungsprogramm ist nach Gerd Gigerenzer (Bauchentscheidungen, 2008) die einfache Regel: Beschränke dich bei schwierigen Entscheidungen auf einen einzigen Grund (Heuristik). Im Gegensatz zur rationalen Urteilsfindung, wo man alle relevanten Informationen sammelt und abwägt, reicht ein einziger Grund. Als Heuristik bezeichnet Gigerenzer eine Methode, komplexe Probleme, die sich nicht vollständig lösen lassen, mit Hilfe einfacher Regeln und unter Zuhilfenahme nur weniger Informationen zu entwirren: Es gibt keinen Gegensatz zwischen Vernunft und Bauchentscheidung, sie ergänzen sich. Logik und Intuition sind zwei Werkzeuge aus der gleichen Kiste.

Die Überlegenheit der wissenschaftlichen Methoden, wie Persönlichkeitstests oder eignungsdiagnostische Verfahren ist bis heute nicht erwiesen.  Es handelt sich um rationale Methoden, Gefühle kommen dabei nicht vor.

Beispiel Bewerberauswahl: Wer wird eingestellt?

Das wäre was, wenn es einen Apparat gäbe, mit dem man herausfinden könnte, wie jemand tickt, wie qualifiziert er ist und auch noch die Sicherheit bieten würde, dass der künftige Mitarbeiter erfolgreich arbeiten wird. Das Unternehmen würde vor Fehlentscheidungen verschont bleiben und Kosten sparen.

Napoleon soll seine Unteroffiziere nach der Nasengröße ausgesucht haben. Diese Methode ist – soweit das bekannt ist – heute nicht mehr üblich. Aber es soll noch Personalchefs geben, die sich auf die Konfiguration der Sterne verlassen oder die Handschrift von einem Grafologen analysieren lassen, um etwas über den Charakter des Bewerbers zu erfahren. Größere Unternehmen vertrauen bei der Personalauswahl der Wissenschaft. Mit eignungsdiagnostischen Verfahren will man den Berufserfolg voraussagen. Mit wissenschaftlichen Methoden soll der Eindruck vermittelt werden, dass es möglich ist, durch Messung von Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmalen, mit Stichproben, Skalen und Koeffizienten Gewissheit zu erzeugen. Sie begründen das damit, dass diese Verfahren objektiv, valide und reliable (zuverlässig) sind. Soll heißen: Alle Beurteiler, die mit diesem Verfahren arbeiten, müssen zu den gleichen Ergebnissen kommen. Mit den Messergebnissen wollen sie den Praktikern in den Unternehmen das Gefühl vermitteln, dass die Bewerberauswahl mit wissenschaftlichen Methoden gelingt.

Bewerberauswahl in der Praxis


Unternehmen stehen im Wettbewerb um gutes Personal. Doch wie wählt man sie aus, die kompetenten und engagierten Bewerber? Eignungsdiagnostische Verfahren, die den Anspruch haben, mit wissenschaftlichen Methoden den Berufserfolg vorher zusagen, haben sich als praxisuntauglich herausgestellt. Unternehmen stellen Menschen ein. Und Gefühle gehören zum Menschen. Doch in der Eignungsdiagnostik kommen Gefühle nicht vor.

Um herauszufinden, ob Bewerber geeignet sind, Fach- und Sozialkompetenz besitzen und ins Team passen, braucht ein Unternehmen Führungskräfte, die sich mit Menschen auskennen und mit Empathie ein Interview führen können. Wer Interviews führt, sollte eine gute Wahrnehmung haben, genau hinhören, was jemand sagt und wie er es sagt: Auf Mimik und Stimme achten und die Gefühle wahrnehmen, die damit ausgedrückt werden. Sollen wir uns bei der Bewerberauswahl von der Ratio verabschieden? Bestimmt der Verstand die Gefühle oder ist es umgekehrt? Ist die Vernunft in der Lage, die Gefühle zu beherrschen? Die Kinder der Aufklärung verlassen sich lieber auf den Verstand als auf das Gefühl.

Intelligenz folgt den Gesetzen der Logik. Doch ein Großteil unseres geistigen Lebens vollzieht sich unbewusst und beruht auf Prozessen, die mit Logik nichts zu tun haben: Bauchgefühl oder Intuition, so der Wissenschaftler Gerd Gigerenzer (Bauchentscheidungen, 2008).

Rationale oder intuitive Einstellungsentscheidung?

Es ist höchste Zeit, Abschied zu nehmen von dem Glauben, dass Vernunft dem Gefühl überlegen sei, meint Gerd Gigerenzer. Der Verstand soll über die Gefühle herrschen, so war die Hoffnung der Aufklärer. Intelligenz folgt den Gesetzen der Logik. Doch ein Großteil unseres geistigen Lebens vollziehe sich unbewusst und beruhe auf Prozessen, die mit Logik nichts zu tun haben.

Wer bekommt den Job?

Wer am besten reden und sich präsentieren kann? Nein. Sollen wir den Verstand ganz ausschalten? Nein. Bei der Entscheidung, wer eingestellt wird, soll trotz des rationalen und systematischen Vorgehens die letzte Instanz das Gefühl, die Intuition sein. Warum? Ist auf die Ratio kein Verlass mehr?

Hirnforscher nehmen an, dass alle kognitiven und psychischen Vorgänge auf biologisch-chemischen Abläufen beruhen. Die letzten Jahre hat die Hirnforschung einen enormen Erkenntnisgewinn gebracht. Die Kernspinresonanztomografie ermöglicht es, die Gehirnaktivität im Menschen zu kartieren und damit verständlich zu machen, welche Gehirnbereiche aktiviert werden, wenn wir Entscheidungen treffen, eine Sprache lernen oder Mitleid empfinden.

Rationale Auswahlmethoden (Tests, Eignungsdiagnostik, Pro- und Contra-Methode) machen Bewerber zu Objekten; Gefühle kommen dabei nicht vor. Bei der Bewerberauswahl haben wir es mit Menschen zu tun, mit ihren Fehlern, ihren Einstellungen, ihren Werten, den Ängsten, ihrem Antrieb, ihren Schwächen und Stärken, ihren Zukunftsvorstellungen und ihren Gefühlen. Bewerber haben Erwartungen und soziale Bedürfnisse. Sie wollen Anerkennung, Selbstbestätigung, Wertschätzung, streben nach Selbstentfaltung und Autonomie.

Einstellungsentscheidung: Eine Prognose

Die Entscheidung, wer eingestellt wird, bleibt eine Prognose. Es geht bei der Personalauswahl darum, das Risiko so gering wie möglich zu halten. Was tun? Das wichtigste Instrument der Personalauswahl ist nach wie vor das Einstellungs-Interview, wo die Fragen geklärt werden: Wer ist für die Aufgabe geeignet, und wer passt zum Unternehmen? Dazu ist es erforderlich, dass die Anforderungen präzise formuliert werden: Ausbildung, Erfahrung, Kenntnisse und Stärken, die der neue Mitarbeiter zum Nutzen des Unternehmens einsetzen kann.

Sollen wir uns bei der Personalauswahl ganz von der Ratio verabschieden und der Logik ade sagen? Nein. Wir sollten das Auswahlverfahren optimieren, aber nicht die Entscheidung. Das Einstellungsinterview sollte gut vorbereitet werden und strukturiert sein. Die Fragen und Aufgaben, die gestellt werden, sollten von den Anforderungskriterien abgeleitet sein.

Empfehlung für alle Personaler


Gehen Sie vor wie bei der Partnerwahl: Keine Kompromisse. Alle an der Auswahl Beteiligten müssen ohne Vorbehalt für die Einstellung votieren. Wenn es Bedenken gibt, die nicht ausgeräumt werden können (evtl. durch ein zweites Gespräch), wird der Bewerber nicht eingestellt. Selbst wenn alle Fakten und Argumente für den Bewerber sprechen und ihnen ihr Bauchgefühl sagt „Nein“, sollten sie der Intuition folgen, auch wenn sie das Gefühl nicht begründen können.

Empfehlung eines Hirnforschers


Der Hirnforscher Gerhard Roth plädiert für einen Dreischritt: Zunächst die Sachlage rational überdenken, den Entschluss dann aber aufschieben und am Ende dem Gefühl folgen. Da auch unsere Alltagslogik fehleranfällig ist, sollten wir Vorwissen sowie vermeintlich sichere Urteile kritisch prüfen. Wir laufen sonst Gefahr, auf Grundlage von unbewussten Denkfehlern zu entscheiden.
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ZUM AUTOR
Über Karl-Heinz List
BusinessVillage GmbH
Karl-Heinz List (www.list-personalkonzepte.de) hat langjährige Erfahrung als Personalleiter und selbständiger Personal- und Outplacementberater. Heute arbeitet er als Seminarleiter und Buchautor, u.a. Personalauswahl, Eignungs- und Leistungsbeurteilungen, Outplacement.
BusinessVillage GmbH
Reinhäuser Landstrasse 22
37083 Göttingen

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