Pressemitteilung, 28.07.2006 - 16:16 Uhr
Perspektive Mittelstand
Ist China nur der Scheinriese Tur Tur? – Westen überschätzt wirtschaftliche und technische Fähigkeiten des Landes maßlos
(PM) , 28.07.2006 - Bonn/Peking – Alle großen und kleinen Kinder kennen den Scheinriesen Tur Tur aus Michael Endes Klassiker „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. Er wird umso größer, je weiter er sich entfernt, und immer kleiner, je näher er kommt. Ein solcher „Scheinriese“ sei auch China, behauptet Harald Maass, China- und Ostasienkorrespondent der Frankfurter Rundschau (FR) www.fr-aktuell.de. In einem Essay für die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte (NG/FH) www.frankfurter-hefte.de beschreibt er den seiner Ansicht nach überschätzten wirtschaftlichen und technischen Aufstieg des „Reichs der Mitte“. Gemessen am Lebensstandard der Menschen und am Technologiestand sei die Volksrepublik bis heute ein Entwicklungsland. Doch die Angst vor dem „gelben Mann“ hat die Angst vor dem „schwarzen Mann“ ersetzt, und im Westen lassen sich viele gerne blenden. Maass zweifelt daran, dass China schon jetzt Hightech produzieren kann. Die bloße Ankündigung eines Staatsbetriebes, eine Art chinesischen Transrapid im Alleingang zu bauen und in Shanghai eine Teststrecke zu eröffnen, habe gereicht, um in Deutschland eine erregte Chinadebatte loszutreten. Ebenso unbegründet sei die Angst vor der chinesischen Automobilindustrie: „Vom Zusammenschrauben einiger Bleche und Monturen bis zur Entwicklung eines modernen Pkw ist jedoch ein langer Weg. Chinas Ingenieure können bis heute keine eigenen Motoren bauen.“ Chinas rasanter Aufstieg sei eindeutig eine Erfolgsgeschichte, findet der FR-Redakteur; nur eben keine einzigartige. Japan habe zwischen 1950 und 1973 ein stärkeres Wachstum als China heute verzeichnet – die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung verfünffachte sich in dieser Zeit. Auch Südkorea und Taiwan seien in ihren Boomphasen schneller gewachsen als die Volksrepublik. China punkte hingegen mit einer Kombination aus billigen Arbeitskräften und einer modernen Infrastruktur. Dadurch werde das Land als Produktionsstandort für Unternehmen aus aller Welt sehr attraktiv. Für Maass ist es quasi undenkbar, dass China ohne einen grundlegenden politischen Wandel weiterhin Erfolg haben wird, denn die Kreativität der Bevölkerung wird durch staatliche Repression erstickt. Allein zwei Drittel der Bankkredite gehen wegen des Drucks der Regierung an Staatsbetriebe: „Diese reformresistenten Großunternehmen dominieren das Baugewerbe, das Telekom- und IT-Wesen, die Bahntechnik, den Autobau und praktisch alle anderen wichtigen Branchen des Landes. Statt freier Wettbewerb herrschen Cliquenwirtschaft und Monopole.“Doch jährliche durchschnittliche Wachstumsraten von 8,5 Prozent sind auch für deutsche Investoren und Unternehmer überaus verlockend. Bei einer Befragung von deutschen Mittelständlern kam heraus, dass fast 80 Prozent China an Nummer eins in Asien sehen, wenn es um künftige Produktionsstandorte und Absatzmärkte geht. „Deutschland ist in fast allen Ländern des asiatisch-pazifischen Raumes der wichtigste europäische Handelspartner. Auch die deutschen Mittelständler müssen alles dafür tun, damit auch sie ein Stück vom Kuchen abbekommen und dieser Kuchen nicht nur von den Großunternehmen verzehrt wird“, sagt Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) www.bvmwonline.de. Der Mittelstandspräsident verweist darauf, dass im ersten Halbjahr 2006 die Exportwirtschaft mit deutlich mehr Hermes-Bürgschaften unterstütz worden sei. Außerdem wolle die Bundesregierung die Vergabe für den Mittelstand vereinfachen. Nach Russland gebe es die höchsten Garantien für China mit 1,6 Milliarden Euro. Die so genannten Hermes-Bürgschaften sichern insbesondere Exporte der deutschen Wirtschaft in Entwicklungs- und Schwellernländer ab. Wenn China weiter wächst, dann werden alle Seiten davon profitieren. Sicher dürfen die ökologischen Verwerfungen des rasanten Aufholprozesses nicht verschwiegen werden. Aber übertriebene Angst vor der gern beschworenen „gelben Gefahr“ scheint ebenso fehl am Platze zu sein.„Gefährlich wäre es für die Welt, wenn Pekings Experiment mit dem Kapitalismus scheitern würde“, schließt Maass seinen Artikel.