Pressemitteilung, 20.02.2006 - 11:06 Uhr
Perspektive Mittelstand
In der Sozialstaatsfalle – Politik und Tarifkartelle sollten sich vom Arbeitsmarkt fernhalten
(PM) , 20.02.2006 - Schon wieder so ein Krisenbuch, denkt man zunächst. „Deutschland – was nun?“ lautet der Titel eines Sammelbandes, der „Reformen für Wirtschaft und Gesellschaft“ schon im Untertitel verspricht. Die Krisenbücher haben ja etwas Leidiges an sich. Der Leser wird in der Regel auf den ersten zweihundert Seiten mit der ganzen Misere in Deutschland konfrontiert, so dass er sich am liebsten die Kugel geben würde. Doch wenn er so richtig suizidgefährdet ist, zaubern die Autoren solcher Werke meist die richtigen Reform-Rezepte aus dem Hut, mit dem unser Land wieder ganz nach vorn gebracht werden könnte. Das ist meistens alles gut, wahr und schön beziehungsweise schlecht, unwahr und schrecklich „neoliberal“. „Die Botschaft hör ich gern, allein mir fehlt der Glaube“, denkt so mancher beim Lesen, denn in Deutschland wird noch jede Reform zerredet und mit unübersichtlichen Ausnahmen dekoriert. Oder die EU-Ebene erledigt das, wie jüngst bei der Dienstleistungsrichtlinie, die auch solange verwässert wurde, bis sie nicht mehr zu erkennen war. Die „unentschlossene Kanzlerin“ rudert zurück Dieses Buch haben wir aufgeschlagen, weil der Herausgeber Klaus F. Zimmermann als Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA Bonn) und zugleich Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsförderung (DIW Berlin) beileibe kein ökonomischer Nobody ist. Und auch die übrigen Beiträger wie Michael Hüther, Rüdiger Pohl, Bernd Raffelhüschen, Bert Rürup und Thomas Straubhaar sind nicht unbekannt in der Fach- und Medienwelt. In seiner Einleitung „Deutschland 2015: Die Zukunft gestalten!“ macht Zimmermann ein paar Vorschläge, wie es seiner Meinung nach besser laufen könnte im Staate Deutschland. Eins ist klar: Deutschland steht erst am Anfang eines langen und schmerzhaften Reformprozesses, auch wenn die „unentschlossene Kanzlerin“ (Kurt Kister) in vielen Fragen schon wieder zurückrudert. In diesem Land ist so viel über ökonomische Veränderungen gesprochen worden, dass wir alle schon ganz gruselig gelitten haben; doch geschehen ist eigentlich nicht sehr viel. Im Wahlkampf übte Merkel noch radikale Reform-Rhetorik, jetzt baden sie und der auffällig unauffällige Wirtschaftsminister Michael Glos gern lau im trüben Teich der Neuen Sozialen Marktwirtschaft, die sich noch keiner so recht vorstellen kann. 58er-Regelgung, Abschwächung der Dienstleistungsrichtlinie, gesetzliche Mindestlöhne: Ludwig Erhard buchstabiert man anders. Die Ausgangslage ist recht schlecht. Von der Arbeitslosigkeit am stärksten betroffen sind gering Qualifizierte, Arbeitnehmer über 50 und Ausländer. Das Steuer- und Transfersystem bieten immer noch massive Anreize, sich aus der Arbeitswelt in den Sozialstaat zu verabschieden oder Deutschland den Rücken zu kehren. Der politische Föderalismus hat sich als Hemmschuh erwiesen, der gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen blockiert. Die Bevölkerung altert, die Ausbildung der Jüngeren verliert an Qualität und Fachkräfte sind oft Mangelware. Im Gegensatz zu Engländern und Amerikanern tun sich die Menschen hier zu Lande schwer, den Übergang vom Industrie- zum Dienstleistungszeitalter zu akzeptieren. Deutschland brüstet sich damit, immer wieder Exportweltmeister zu sein. Doch bei den Dienstleistungen sind wir davon meilenweit entfernt, obwohl gerade in den Serviceberufen viele neue und attraktive Jobs entstehen. Fastfood-Reformen der Jahre 2003 und 2004 Bei Zimmermann liest sich das so: „Der deutsche Dienstleistungssektor steht dagegen im Regen. Die USA haben einen rabiateren Deindustrialisierungsprozess hinter sich als Deutschland, nur haben sie ihn besser durch Entwicklung der Dienstleistungen aufgefangen. Relativ hohes Niedriglohnniveau und organisierte soziale Sicherung in Deutschland sind neben manchen Fehlregulierungen die eigentlichen Hemmschwellen für eine angemessene Reaktion auf die Globalisierung.“ Die „Fastfood-Reformen der Jahre 2003 und 2004“ reichten nicht aus, so Zimmermann. Der Regierung fehle ein „Reform-Chefideologe“. Doch wer soll dies sein? Etwa Michael Glos, dem man zurufen möchte: „Müller, bleib bei Deinen Mühlen?“ Zimmermanns Forderungen hören sich allesamt vernünftig an. Er macht sich für Ganztagsbetreuung in Kindergärten und Schulen stark, die Einführung von Studiengebühren sowie die Abschaffung des Beamtenstatus für Lehrer und Hochschullehrer. Doch realistisch ist wohl nur der Ruf nach Studiengebühren. Der Beamtenstatus für Lehrer und Professoren dürfte erst dann kippen, wenn uns die gesamten Pensionszahlungen für diese privilegierte Kaste um die Ohren fliegen. Mit fast physischem Widerwillen registriert man das so unpreußische Besitzstandsdenken, das der aus dem Rheinland stammende Beamten-Lobbyist Peter Heesen an den Tag legt. Der Blick für die Realität scheint diesen Interessenvertretern abhanden gekommen zu sein, sonst würden Heesen und Co. wohl etwas mehr Demut an den Tag legen angesichts der Tatsache, dass die deutschen Beamten das Schicksal von fast fünf Millionen Bundesbürgern nie erleiden werden und von der Geißel Arbeitslosigkeit verschont bleiben. Hilmar Schneider, seit 2001 Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA Bonn), steuert zu eben jener Thematik einen vorzüglichen Aufsatz bei. Seine Sprache ist kraftvoll und klar, seine Reformvorschläge allesamt durchdacht und stringent. Natürlich werden sie den moralisierenden Sozialaposteln nicht gefallen. Man hört quasi schon das Heulen und Zähneklappern der Gewerkschaften, wenn sie mit der Tatsache konfrontiert werden, dass die großzügig ausgestaltete soziale Mindestsicherung dafür sorgt, dass Menschen mit einfachen Fähigkeiten systematisch aus dem Erwerbsleben herausgedrängt werden. Schneider geht der Frage nach, warum Arbeit in Deutschland so teuer ist. Dies hat damit zu tun, dass die Rentenversicherung so teuer geworden ist. In Dänemark wird die Rente ausschließlich über die Steuer finanziert. Und in den meisten Ländern hat die gesetzliche Rentenversicherung nur noch die Funktion einer Basiseinkommenssicherung. Der deutsche Steuerstaat traut seinen Bürgern die Fähigkeit zur Eigenvorsorge nicht zu und verwahrt das Geld seiner Bürger lieber schlecht als recht. Lasst Zahlen sprechen: Seit 2001 hat die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 1,7 Millionen abgenommen. Im gleichen Zeitraum hat die Zahl der Minijobs um zwei Millionen zugenommen. Ein dramatischer Einnahmeausfall bei den Sozialversicherungen ist die logische Folge. Kniefall vor den Gewerkschaften Obwohl die Mitgliederzahlen dramatisch heruntergehen, mischen die Gewerkschaften immer noch viel zu stark mit. Und die Politik macht es ihnen einfach. Der Autor weist auf den fiskalischen Skandal der so genannten „Tariftreueregelungen“ hin, die einige Bundesländer erlassen haben. Danach dürfen öffentliche Aufträge nur dann an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden. „Angesichts leerer öffentlicher Kassen ist das schon bemerkenswert“, findet Schneider. Dem schönen Märchen von den Segnungen der Arbeitszeitverkürzung kann der bekannte Arbeitsökonom ebenfalls nichts abgewinnen. In Deutschland sinke die Pro-Kopf-Arbeitszeit seit Jahrzehnten; und trotzdem fänden immer weniger Menschen einen regulären Arbeitsplatz. Ähnlich dramatisch wirkt sich die soziale Mindestsicherung aus. „Für manchen bietet Arbeitslosengeld II als Basiseinkommen zusammen mit ein paar schwarz nebenher verdienten Euro eine durchaus auskömmliche Lebensgrundlage“, schreibt der Autor. Stichwort „Sozialstaatsfalle“: Der Staat setzt falsche Erwerbsanreize. Denn wer die Erfahrung gemacht hat, dass er mit 40 Stunden ehrlicher und regulärer Arbeit in der Woche nicht viel mehr zusammenkratzt als ohne diesen Aufwand, der wird rasch demotiviert. Und so ist es auch für ältere Arbeitslose, für die die Rente schon in Sichtweite gekommen ist, oft ökonomisch unsinnig, noch eine Arbeit anzunehmen: „Sie haben sogar etwas zu verlieren, wenn sie eine Tätigkeit aufnehmen, deren Einkommen unter dem vorherigen Einkommen liegt. Werden sie nämlich am neuen Arbeitsplatz vorzeitig entlassen – etwa in der Probezeit -, wird ihr anschließender Unterstützungsanspruch an dieser letzten Tätigkeit gemessen. Folglich werden sie sich bestenfalls auf ein Stellenangebot einlassen, das über ihrem letzten Einkommen liegt, und das kommt leider nur in den seltensten Fällen vor.“ Kein Wunder, dass Deutschland im internationalen Vergleich eine der niedrigsten Erwerbstätigenquoten bei den 55- bis 64-Jährigen aufweist. Der Bürger hat das Nachsehen, wenn sich Gewerkschaften und Arbeitgeber auf „Vereinbarungen zu Lasten unbeteiligter Dritter“, nämlich der Beitragszahler, einigen. Laut Schneider nutzen vor allem Großunternehmen die Arbeitslosenversicherung dazu, den bestehenden Kündigungsschutz auszuhebeln. Was also macht das deutsche Sozialstaatsmodell noch aus, auf das die Politiker von links bis rechts so stolz sind? Dass jeder zweite Arbeitslose länger als ein Jahr arbeitslos ist? Auch hier ist Deutschland weltweit Spitze. Die Arbeitslosenversicherung in ihrer jetzigen Form entmündige die Bürger, indem sie Jobs, die für einen Arbeit Suchenden in Frage kommen, unattraktiv macht. Empirische Studien weisen nach, so Schneider, dass der Anspruchslohn von Arbeitslosen in Deutschland um durchschnittlich zehn Prozent über ihrem letzten Einkommen liegt. Baumärkte machen arbeitslos Diejenigen, die dauerhaft ohne Job bleiben, werden berufsarbeitslos. Sie verlieren ihre Identität, fühlen sich nutzlos und von der Gesellschaft ausgeschlossen. Dann sind sie reif für ein „ganzes Heer von sozialpädagogisch geschulten Betreuern“, die sich auf die armen Opfer stürzen und dabei gut verdienen. Ob sie noch etwas retten können, steht auf einem anderen Blatt. Eine Seite weiter liest man dann, dass auch die Baumärkte an der Arbeitslosigkeit schuld sind. Dies ist nicht so abwegig, wie es erscheint. In der Tat arbeiten die Deutschen im Vergleich mit Schweizern, Japanern oder Amerikanern recht wenig, in ihren Büros und Werkhallen nämlich. Sie müssen pünktlich um 16 Uhr den Griffel fallen lassen, damit sie die Baumärkte noch unsicher machen können, um zuhause herumwerkeln zu können. Die Menschen in anderen Ländern sind da etwas vernünftiger: Sie verbringen mehr Zeit im Job und lassen Profis an die Arbeiten im eigenen Heim heran. Dadurch ersparen sie sich genervte Ehefrauen, die an den mangelnden handwerklichen Fähigkeiten des Gatten verzweifeln oder blaue Finger, auf die der Hobby-Heimwerker mal wieder mit dem Hammer gezielt hat, obwohl er doch eigentlich den Nagel treffen wollte. Vergesst die aktive Arbeitsmarktpolitik, so lautet eine weitere Botschaft. Mainzer Modelle, Minijobs, Personal-Service-Agenturen oder Ich-AGs sind schön und gut. Im besten Fall schaden sie nicht und kosten nur Geld. Den handelnden Personen in diesem Land fehlt es an echtem Zutrauen in die Kräfte des Marktes. Hilmar Schneider empfiehlt die Einführung des so genannten „Workfare“-Konzepts. Dieser Begriff sei abgeleitet von der englischen Wortzusammenziehung „Welfare-to-Work“, was so viel bedeute wie „Arbeit statt Sozialhilfe“. Ein Anspruch auf die soziale Grundsicherung für Erwerbsfähige besteht nach diesem Modell nur noch dann, wenn dieser potenziell Erwerbsfähige dazu bereit ist, eine sozial nützliche Beschäftigung aufzunehmen. Es ist so einfach wie wahr: „Wenn für die Grundsicherung gearbeitet werden muss, ist jeder Job interessant, bei dem man mehr verdienen kann als in der Grundsicherung.“ Es ist natürlich abzusehen, dass weder Wähler noch Politiker den Mut zu solch unpopulären Maßnahmen haben werden. Daher wird aller Voraussicht nach aus „Angst vor der Narkose auf die lebensrettende Operation“ verzichtet. Der Arbeitsmarkt ist das zentrale Thema dieser Legislaturperiode, oder sollte es zumindest sein. Doch nicht nur die Lektüre des sehr guten Beitrages von Hilmar Schneider lohnt sich. Wer sich über den Föderalismus, die Rentenreform, das Gesundheitswesen, die Familienpolitik, die Hochschulentwicklung und viele andere Bereiche informieren will, sollte sich dieses Buch zulegen und den einen oder anderen Aufsatz studieren. Klaus F. Zimmermann: Deutschland – was nun? Reformen für Wirtschaft und Gesellschaft. 370 Seiten. Beck im dtv, München 2006. 16 Euro, ISBN 3-406-54319-7