Kolumne
Beraten und verkauft, 29.03.2013
Perspektive Mittelstand
Gütesiegel
Geschäftsmodell „Schaum schlagen und abkassieren“
Der Markt für fragwürdige Gütesiegel boomt. Denn viele Unternehmen wollen ihre Fassade für Marketing-Zwecke aufpolieren. Und zahlreiche „Wissenschaftler“ sowie aus Funk und Fernsehen bekannte „Gut-Menschen“ möchten ein paar Euro dazu verdienen.
Immer mehr tüchtige Geschäftsmacher erkennen: Mit dem Verkauf von Gütesiegeln lässt sich gutes Geld verdienen. Entsprechend viele Wettbewerbe gibt es inzwischen, die Unternehmen zum Beispiel attestieren, dass sie nachhaltig wirtschaften oder ethisch fundiert handeln. Und wer sich bescheinigen lassen möchte, dass sein Unternehmen ein 1A-Beratungsunternehmen oder ein Spitzen-Arbeitgeber oder ein familienfreundlicher Betrieb ist? Auch das ist kein Problem! Denn inzwischen gibt es für fast alles ein Gütesiegel.

Dabei ist das Geschäftsmodell der Anbieter stets dasselbe. Schritt 1: Man suche sich ein Thema, bei dem Unternehmen häufig ein schlechtes Gewissen plagt oder bei dem sie sich gerne von ihren Mitbewerbern abheben möchten. Schritt 2: Man gründe entweder eine Stiftung, um der Unternehmung einen „gemeinnützigen“ Anstrich zu verleihen, oder engagiere einen gut beleumundeten Mentor für den Wettbewerb – zum Beispiel einen namhaften Ex-Spitzenpolitiker, der seine Pension aufbessern möchte, oder einen Fernsehmoderator, dem das Image des Gut-Menschen anhaftet (der aber trotzdem gern die Hand aufhält). Schritt 3: Man engagiere einen Professor, der an irgendeiner Uni ein privatwirtschaftliches Institut betreibt, damit er der Untersuchung oder dem Wettbewerb einen wissenschaftlichen Anstrich verleiht. Schritt 4: Man suche sich eventuell noch einen Zeitungsverlag als Medienpartner und starte dann den Wettbewerb, an dem alle Unternehmen teilnehmen können, die ihre Marketingfassade aufpolieren möchten.

Selbstverständlich nicht kostenlos! Jedes Unternehmen, das teilnimmt, muss eine mindestens vierstellige Start-Gebühr bezahlen (Denn das wissenschaftlich fundierte Bewertungsverfahren der Teilnehmer ist „seeehr“ aufwändig). Und wer dann noch mit einem Unternehmensportrait auf der Wettbewerbs-Webseite oder in dem für die Mülltonne produzierten Buch präsent sein möchte, in dem sich die „Sieger“ des Wettbewerbs präsentieren? Der muss nochmals einen vier- bis fünfstelligen Betrag berappen.

Zugegeben, das Geschäftsmodell ist genial. Denn das Reservoir an Unternehmen, die irgendetwas attestiert haben möchten, ist unerschöpflich. Zudem entwickelt sich ein solcher Wettbewerb, ist er erst einmal einigermaßen etabliert, zum Selbstläufer. Denn alle Unternehmen, die prämiert wurden, werben auch sehr aktiv damit, so dass bei vielen Unternehmen, die noch nicht dabei waren, der Eindruck entsteht: Beim nächsten Wettbewerb müssen wir auch dabei sein. Hinzu kommt: Das Gütesiegel wird in der Regel nur für ein Jahr verliehen. Also müssen die Unternehmen, die sich weiterhin mit dem Siegel schmücken möchten, im Folgejahr erneut an dem Wettbewerb teilnehmen.

Doch faktisch sind diese „Wettbewerbe“, „Marktanalysen“ und „Unternehmensbewertungen“ nichts anderes als eine große Abzocke und „Kunden-“ beziehungsweise „Publikums-“ oder „Verbraucher-Verarschung“. Denn ausgezeichnet wird faktisch jedes Unternehmen, das ausreichend tief in sein Portemonnaie greift und an dem Wettbewerb teilnimmt – entweder mit einem „Gütesiegel“ oder einem „Top-Ranking-Platz“. Und wenn die Zahl der Wettbewerber zu groß ist, dass jeder Teilenehmer einen Top-Ranking-Platz erzielen kann? Dann werden eben so viele Wettbewerbskategorien eingeführt, dass doch jeder Teilnehmer ein Top-Ranking erzielt – sei es als kundenorientiertes Klein-, Mittel- oder Großunternehmen. Oder als serviceorientiertester Dachdeckerbetrieb oder als am nachhaltigsten wirtschaftende Putzkolonne.

Trotzdem wird das Geschäftsmodell weiter boomen, so lange es aus Funk und Fernsehen bekannte Gut-Menschen gibt, die sich ein paar Euro dazu verdienen möchten, und so lange es Unternehmen gibt, die für Marketing-Zwecke ihre Fassade aufpolieren möchten; des Weiteren so lange es renommierte Zeitungen und Zeitschriften gibt, die sich auf der Suche nach neuen Einnahmequellen gerne als Medienpartner für solche Wettbewerbe zur Verfügung stellen – selbst wenn sie sich ansonsten in ihrem redaktionellen Teil zum Beispiel regelmäßig über die „Schwindel-Etiketten“ im Bio-Bereich echauffieren. „Pecunia non olet“ – das gilt außer für so manchen Wissenschaftler und „Gut-Menschen“, auch für so manche Verlage, weshalb sie über besagte Gütesiegel nie kritisch berichten.
ZUM KOLUMNIST
Über Bernhard Kuntz
Bernhard Kuntz ist ein ausgewiesener Kenner des Bildungs- und Beratungsmarkts aufgrund seiner Tätigkeit als Redakteur des Fachmagazins 'management & seminar' (1989 bis 1992) und seiner über 15-jährigen Arbeit als Fachjournalist für Personal- und ...
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