Fachartikel, 12.05.2009
Perspektive Mittelstand
Es lebe das Vorurteil
Zur Subjektivität der Personalauswahl
Bewerber, die im Schnitt bei keinem Unternehmen länger als zwei Jahre beschäftigt waren, lösen bei vielen Arbeitgebern Unbehagen aus. Was aber, wenn er gute Zeugnisse hat und Erfahrung mitbringt, die Sie als Arbeitgeber vielleicht brauchen könnten?
„Wer so viele Stellen hatte, der passt nicht zu uns, der ist ja nach einem Jahr wieder weg“, so das Denken vieler Personaler. Zwar fordern die meisten Arbeitgeber geringeren Kündigungsschutz und größere Flexibilität von Arbeitnehmern. Auf der individuellen Ebene wird die Flexibilität jedoch verdächtig. Finden sich häufige Wechsel in einem Lebenslauf, dann interpretieren wir nicht die ersehnte Flexibilität, wir freuen uns nicht an der großen Erfahrungsbreite, wir riechen einen Job-Hopper, einen Sensation-Seeker, schnell gelangweilt und schnell wieder weg. Wir messen ein solches Verhalten (ohne zu prüfen, wie viel davon freiwillig war) immer noch an einem Idealbild, das schon früher nicht die Wirklichkeit abbildete: an einer Betriebszugehörigkeit von der Ausbildung bis zur Rente.

Gleichzeitig zeigen aktuelle Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt und Technik, dass die Betriebstreue anders als man glauben könnte, in Deutschland nicht ab-, sondern in den letzten Jahren eher etwas zugenommen hat. Andererseits zeigt dieselbe Untersuchung, dass diese Betriebstreue nie so hoch war, wie wir uns das in unseren Träumen gerne ausgedacht haben, dass sie offensichtlich schon seit Jahrzehnten deutlich niedriger liegt, als zum Beispiel in den USA. Der Durchschnitt der deutschen Arbeitnehmer ist zwischen vier und sechs Jahren bei einem Arbeitgeber beschäftigt, im Alter zwischen 26 und 40 beträgt die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit nur 3,5 Jahre. Ich kenne keinen Unternehmer oder Manager, der mit solchen Zahlen rechnen würde.

Beispiel Vertrieb: Überzeugungstäter und Legionäre

Wollte man sich einzelne Berufsgruppen betrachten, werden wir im Vertrieb eine noch überdurchschnittliche Wechsel-Häufigkeit vorfinden und – je nach persönlicher Präferenz – erwarten oder beklagen. Wir alle verbinden unterschiedliche Ideen mit dem Vertrieb. Nehmen wir ein paar gängige Erwartungen, die wir mit Vertrieb verbinden können:

  • Zum Vertrieb gehört eine überdurchschnittliche Identifikation mit dem verkauften Produkt, wenn diese erlahmt oder wegen Produkt-, Vorgesetzten- oder Strategiewechsels ihren Gegenstand verliert, kann man nur hoffen, dass der Vertriebsspezialist wechselt. Oder:
  • Wer verkaufen kann, kann alles verkaufen, da kommt es nur auf das Geld an. Wenn also das Gehalt zu gering ist, wechselt ein guter Vertriebler. Und umgekehrt, will man ihn von der Fluktuation abhalten, muss man mehr Geld anbieten; entsprechend braucht es natürlich keine Identifikation mit dem Produkt.

Wir könnten noch eine ganze Reihe solcher stereotyper Vertriebsdefinitionen aufzählen. Letztlich spielt es keine Rolle, ob Sie einem dieser Muster anhängen oder eine dieser Aussagen oder auch eine ganz andere im Lauf Ihres Berufslebens bestätigt oder widerlegt bekommen haben. Viel wichtiger ist, dass wir alle irgendwelche Vorstellungen mit uns herum tragen, die nicht objektiv sind und empirisch bestenfalls durch einzelne Erlebnisse abgesichert, die wir obendrein nachträglich in unserem Sinne interpretiert haben. Das ist jedoch kein Fehler!

Die Objektivität ist tot

Im Gegensatz zu dem, was uns schlaue Ratgeber erzählen wollen, gibt es Objektivität in der Personalauswahl nämlich nicht. Nicht beim Lesen von Unterlagen, nicht beim Bewerbungsgespräch und auch nicht beim Assessment Center. Nicht beim standardisierten Interview und nicht bei psychologischen Tests. Darum sollten wir von vorneherein nicht so tun, als seien wir objektiv oder könnten es sein, wenn wir uns nur genügend anstrengten. Wir können und wir sollten jedoch, wenn wir in knappen Arbeitsmärkten – und das sind heute alle Arbeitsmärkte mit qualifizierten Fachleuten – nicht zu viele möglicherweise gute Leute ungeprüft nach Hause schicken wollen, unserer Subjektivität ein Schnippchen schlagen.

Es lebe die Intersubjektivtität

Wenn Sie nicht nur Taktiker sondern Stratege sind, dann lassen Sie noch (mindestens) eine weitere Person auf diesen Bewerber schauen, einen anderen mit seinen ganz eigenen subjektiven Vorstellungen. Unabhängig von Ihnen, aber gut abgestimmt, so dass Sie sich intensiv austauschen können, wenn Sie, jeder für sich, mit dem Bewerber gesprochen haben. Dann wird aus zwei (oder mehr) subjektiven Erfahrungen durch Kommunikation Intersubjektivität – näher können Sie an ein objektives Ergebnis gar nicht herankommen.

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