Pressemitteilung, 12.06.2015 - 15:45 Uhr
Perspektive Mittelstand
Erstes Exoskelett für die Industrie präsentiert
Forscher haben im EU-Projekt Robo-Mate ein Exoskelett entwickelt, das die Gewichtsbelastung auf bis ein Zehntel reduziert. Den ersten Prototypen stellten die Projektpartner am 12. Juni am Fraunhofer IAO in Stuttgart vor.
(PM) Stuttgart, 12.06.2015 - In der Fertigung und Montage müssen immer noch viele körperlich belastende Tätigkeiten von Menschen durchgeführt werden: Sei es für Kleinserien oder Prototypen, bei denen die Montage jedes Stücks so individuell ist, dass keine Roboter dafür programmiert werden können. Oder sei es, weil sie für Roboter zu komplex sind, nicht zu standardisieren oder weil sie menschliche Flexibilität erfordern. Ein Beispiel ist die Demontage von Kraftfahrzeugen: Da jedes gebrauchte und zur Demontage angelieferte Auto anders ist, erfordert der Ausbau jedes Fahrzeugteils wie beispielsweise Sitze oder Batterien individuelle Handgriffe. Diese Tätigkeiten belasten die Arbeiter jedoch stark, vor allem, wenn sie acht Stunden täglich durchgeführt werden. Arbeiter in der Produktion und Demontage heben und tragen pro Tag oft mehrere Tonnen Material. Schäden an der Wirbelsäule sind quasi vorprogrammiert, Langzeitleiden sind die Folge. Das bedeutet nicht nur persönliche Leiden für die Arbeiter: für das Gesundheitssystem entstehen hohe Kosten; Arbeitgeber haben Nachteile durch krankheitsbedingte Ausfälle und Frühverrentung sowie unattraktive Arbeitsplätze. Die EU hat sich als Ziel gesetzt, Produktionsstandorte in Europa zu halten – mitsamt ihren Arbeitsplätzen. Um krankheitsbedingte Ausfälle zu reduzieren und Facharbeiter langfristig leistungsfähig zu halten, müssen aber menschengerechte Produktionsbedingungen geschaffen werden. Das Robo-Mate-Exoskelett hat das Potenzial, neben Schutz und Haltungsunterstützung auch Erleichterung beim Heben schwerer Gegenstände zu bieten. Mittels Motoren und Sensoren soll es in der Lage sein, das Gewicht, das auf den Menschen wirkt, auf einen Bruchteil zu reduzieren und gleichzeitig Haltungsschäden vorzubeugen.Exoskelette kennt man bislang vor allem aus Science-Fiction- oder Superhelden-Filmen. Zwei Einsatzgebiete gibt es bislang tatsächlich: im Militär sowie in der medizinischen Rehabilitation. Bislang gibt es kein Exoskelett, das für den Einsatz in der Produktion entwickelt wurde. Die am EU-Projekt »Robo-Mate« beteiligten Partner haben sich genau das zum Ziel gesetzt. Seit Ende 2013 arbeiten zwölf Forschungsinstitute und Unternehmen aus sieben europäischen Ländern zusammen, um einen Helfer für Arbeiter in der Produktion zu entwickeln.Der erste Prototyp von »Robo-Mate« ist jetzt fertig und wurde am 12. Juni am Fraunhofer IAO in Stuttgart vorgestellt. »Unser Prototyp des Exoskeletts besteht aus Modulen für die Arme, den Rumpf und die Beine«, beschreibt Prof. Dr. Wernher van de Venn, Projektkoordinator von Robo-Mate und Leiter des Instituts für Mechatronische Systeme an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). -Arm-Module: Die Module für die Arme sind an Ober- und Unterarmen befestigt. Sie unterstützen die Arbeiter aktiv beim Heben schwerer Lasten: Mithilfe von Motoren reduzieren sie die Kraft, die beim Heben eines Gegenstands auf den Arbeiter wirkt, bis auf ein Zehntel. »Ein Autositz von 15 Kilogramm fühlt sich beim Heben mit dem Exoskelett an wie 1,5 Kilogramm«, so Prof. Dr. Carmen Constantinescu, die das Projekt auf Seiten des Fraunhofer IAO leitet.-Rumpfmodul: Das Rumpfmodul dient vor allem zur Stabilisierung von Rücken und Wirbelsäule sowie als Schutz. Es hilft, den Rumpf bei Hebe- und Beugearbeiten gerade zu halten und schützt so vor Bandscheibenvorfall und Verdrehungen der Wirbelsäule.-Bein-Module: Das Exoskelett unterstützt die Beine durch zwei Module, die vom Rumpfmodul aus die Innenseite der Oberschenkel stabilisieren. Bei Tätigkeiten in hockender Position, die für die Oberschenkel sehr anstrengend werden können, versteifen sich die Bein-Module und bilden eine Art Sitz, sodass der Arbeiter keine zusätzliche Kraft aufbringen muss.Um herauszufinden, wo die meisten Probleme bei der Montage und Demontage liegen und was das Exoskelett können muss, haben Wissenschaftler am Fraunhofer IAO Arbeitsschritte verschiedener Anwendungspartner im Projekt mittels Software simuliert. Wie sieht der Bewegungsablauf aus, welche Kraft wirkt wie auf den Körper? So wurden Schlüsselschritte identifiziert, bei denen die Belastung sehr stark ist. Im Anschluss simulierten die Forscher um Carmen Constantinescu die entsprechenden Arbeitsschritte mit Exoskelett – und fanden so heraus, bei welchen Schritten dieses sinnvoll eingesetzt werden kann. »Bislang ist es noch niemandem gelungen, den Menschen und das ihn umgebende Exoskelett als eine Einheit zu berechnen«, erklärt Constantinescu die besondere Herausforderung bei diesem Unterfangen. Für die Entwicklung des Skeletts und die Bewertung der Anwendungsfälle war das jedoch unabdingbar.Weitere Informationen unter: www.robo-mate.eu/news/media-press


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