Fachartikel, 25.10.2011
Perspektive Mittelstand
Einheitliches EU-Kaufrecht gefragt
Nationaler Eigensinn lähmt EU-Binnenhandel und -konsum
Einkaufen in einem Markt von Lissabon bis Helsinki, 500 Millionen Menschen, ein gewaltiges grenzüberschreitendes Produkt- und Dienstleistungsangebot. Dennoch nutzen nur rund 6% der deutschen Verbraucher und Unternehmen die Möglichkeit, jenseits der deutschen Grenze einzukaufen.

Der EU-Binnenmarkt bietet gewaltige Möglichkeiten, vielleicht in einem anderen EU-Land ein noch passenderes Angebot zu finden – auch und nicht zuletzt im E-Commerce. Bislang macht jedoch nur kleine Minderheit der Unternehmen und Verbraucher von dieser Möglichkeit Gebrauch. Die europäische Kommission begründet diese Zurückhaltung mit der mangelhaften Rechtsangleichung und mangelhafter Rechtssicherheit - innerhalb der EU gelten 26 verschiedene einzelstaatliche Vertragsrechtsregelungen - und arbeitet derzeit an einem gemeinsamen Kaufrecht für alle EU-Staaten.

Nach Internationalem Privatrecht unterliegt ein Vertragsverhältnis dem von den Parteien gewählten Recht. Die Rechtswahl muss dabei ausdrücklich sein oder sich mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles ergeben, also z.B. bei E-Commerce durch eindeutige Hinweise und Bestimmungen, die vom Verbraucher beim Kauf bestätigt werden.  Die Parteien können jederzeit ein anderes Recht vereinbaren.

Mangels einer Rechtswahl unterliegen Verbraucherverträge grundsätzlich dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, denn im Verbraucherrecht dar die Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts des Staates, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, gewährte Schutz entzogen wird, wenn 1. dem Vertragsabschluß ein ausdrückliches Angebot oder eine Werbung in diesem Staat vorausgegangen ist und wenn der Verbraucher in diesem Staat die zum Abschluss des Vertrages erforderlichen Rechtshandlungen vorgenommen hat, 2. der Vertragspartner des Verbrauchers oder sein Vertreter die Bestellung des Verbrauchers in diesem Staat entgegengenommen hat oder 3. wenn der Vertrag den Verkauf von Waren betrifft und der Verbraucher von diesem Staat in einen anderen Staat gereist ist und dort seine Bestellung aufgegeben hat, sofern diese Reise vom Verkäufer mit dem Ziel herbeigeführt worden ist, den Verbraucher zum Vertragsabschluss zu veranlassen. All dies mag bei analogen und ortsgebundenen Geschäften noch leicht zu klären sein, doch wie gilt es bei E-Commerce-Geschäften, wo vielfach das Recht des Staates gilt, wo die elektronische Abwicklung und Verwaltung des Geschäfts stattgefunden hat? Wenn also ein deutscher Verbraucher sich aus freien Stücken auf dem Portal eines Weinhändlers im Piemont einloggt und dort Wein bestellt, gelten obige Voraussetzungen nicht, sondern höchstwahrscheinlich bei fehlender anderer Regelung das Kaufrecht Italiens. Kaum ein Verbraucher hat dann die notwendigen Sprach- und Rechtskenntnisse, um zu prüfen, ob er zu diesen Konditionen wirklich kaufen möchte.

Aufklärungspflichten, Liefer- und Nachbesserungsansprüche, Gewährleistung, Haftung, Garantien – im Ausland können viele  Überraschungen lauern. Viele Anbieter scheuen auch wegen dieser Rechtsunsicherheit, vor allem auch Haftungsrisiken grenzüberschreitenden Handel. Gerade der Online-Käufer merkt dann schnell, wenn er aus dem EU-Ausland gar nicht bestellen kann, weil die Funktion nicht freigeschaltet ist und der Verkäufer lieber auf die Bestellung verzichtet, als Risiken einzugehen.

Die Europäische Kommission schlägt derzeit daher alternativ zum geltenden einzelstaatlichen Recht bzw. Internationalen Privatrecht ein freiwilliges, optionales EU-Kaufrecht vor, das eine einheitliche Rechtsbasis als Chance zur Bewältigung von rechtlichen Intransparenzen darstellen soll und ein einheitliches hohes Verbraucherschutzniveau gewährleistet. Dabei werden Verbrauchern klare und transparente Rechte und Unternehmen die Chance geboten, dadurch den Absatz zu erhöhen und grenzübergreifend mehr Kunden zu gewinnen. Ausdrückliche Aufklärungen, Zustimmung zu gewähltem Recht und Informationen in der jeweils persönlichen Muttersprache sind dann Standard.

Man erinnere sich an die Kampagne „EU 92“. Lange her, aber ein vernetztes und funktionierendes Europa haben wir noch lange nicht, außer dass wir dem Schreckgespenst der Transferunion jeden Tag neu ins Gesicht sehen müssen. Beginnen wir doch mal wirklich und messbar, den Nutzen zu erhöhen, in der EU zu leben, zu arbeiten und zu kaufen. Die Vereinheitlichung des Kaufrechts wäre ein solcher Schritt.

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ZUM AUTOR
Über Prof. Dr. Christoph Ph. Schließmann
CPS Schließmann | Wirtschaftsanwälte
Prof. Dr. Christoph Ph. Schließmann ist Wirtschaftsanwalt und Fachanwalt Arbeitsrecht in Frankfurt am Main und berät und begleitet seit über 20 Jahren Unternehmen, Unternehmer, Aufsichtsräte, Vorstände und Geschäftsführer in Fragen der Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung an der Schnittstelle von Wirtschaft & Recht. Christoph Schließmann war 1991 einer der Gründungsdozenten des St. Galler Management Programms. Heute lehrt er Strategische Unternehmensführung, Entrepreneurship und Leadership an der Paris-Lodron-Universität Salzburg und der Universität Innsbruck. Außerdem ist er Honorarprofessor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Salzburg, Autor zahlreicher Bücher wie u.a. "Unternehmer aus Leidenschaft" (2004), "Das No-Go-Phänomen: Wenn Führungskräften nicht mehr zu helfen ist" (2007) und "Interdependency: Systeme verstehen - Dominoeffekte vermeiden" (2010) sowie gefragter Vortragsreferent.
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