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Dienstleistungsgesellschaft ist keine Dienstbotengesellschaft – Der skandinavische und der angelsächsische Weg zu mehr Beschäftigung für gering Qualifizierte

(PM) , 05.09.2006 - Von Ansgar Lange Bonn/Köln – Der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft ist zwar im vollen Gange, doch es mangelt zumindest in Deutschland noch an Konzepten, wie eine solche Gesellschaft aussehen kann. In der Sprache der Wissenschaft ist der Begriff Dienstleistung eine „Residualkategorie“, die all das umfasst, was nicht landwirtschaftlich oder industriell ist. Deutschland hat kein Problem bei den qualifizierten und bei den dem internationalen Wettbewerb ausgesetzten Dienstleistungen, sondern bei den einfachen Dienstleistungen. Diese These vertritt Fritz W. Scharpf, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIFG) www.mpifg.de in Köln, im Gespräch mit der Zeitschrift Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte (NG/FH) www.frankfurter-hefte.de. Grob gesagt kann man das schwedische vom angelsächsischen Modell unterscheiden. In Schweden, so Scharpf, sind insbesondere die familienbezogenen Dienste wie Kinderkrippen, Kindertagesstätten, Kindergärten, Ganztagsschulen und die häusliche Pflege von Kranken, Behinderten und Alten, universell verfügbar. Sie werden öffentlich in Form von sozialen Diensten erbracht und auch öffentlich finanziert. Der Preis für das schwedische Dienstleistungsmodell: Eine im internationalen Vergleich sehr hohe Abgabenquote von über 50 Prozent. In den angelsächsischen Ländern verfährt man anders. Hier wird die Familienarbeit ersetzt durch private Erwerbsarbeit: „Es gibt viele reiche Leute, die sich niedrig entlohnte Arbeit leisten können und andererseits Leute mit Niedriglöhnen, die erst durch die negative Einkommenssteuer für die Bezieher gesellschaftlich einigermaßen akzeptabel gestaltet werden. Und es wird zweitens ermöglicht durch eine sehr niedrige Abgabenbelastung. Die Sozialabgaben, die bei uns 42 Prozent des Bruttolohns ausmachen, sind in den angelsächsischen Ländern weit niedriger.“ Die Bundesrepublik steckt in der Falle Die Bundesrepublik stecke in dieser Hinsicht in einer Falle. Wegen der niedrigen Steuerquote könnten die entsprechenden Arbeitsplätze nicht im öffentlichen Sektor bereit gestellt werden. Im privaten Sektor sei die Lohnspreizung jedoch geringen als in den Vereinigten Staaten, und überdies werde gerade die einfache Arbeit in Deutschland durch die hohen Sozialversicherungsbeiträge übermäßig verteuert. „Das Ergebnis ist eine wesentlich höhere Arbeitslosigkeit insbesondere bei Arbeitnehmern mit geringer beruflicher Qualifikation“, so Scharpf. Ein Mittel, um aus dieser Falle zu entkommen, sei beispielsweise die private Ko-Finanzierung öffentlicher Projekte, sei es im Gesundheits- oder im Bildungsbereich. Scharpf zufolge kann das schwedische Modell für die Deutschen kein rasch erreichbares Nahziel sein. Der Ausbau der sozialen Dienste habe dort Jahrzehnte gedauert und auch in einer Zeit stattgefunden, in der Globalisierung, internationale Mobilität von Kapital und qualifizierten Arbeitnehmern keine Rolle spielte. Wenn man das heute in Angriff nehmen wolle, müsste man Unternehmensgewinne und Kapitaleinkommen weitgehend schonen und die Belastung schwerpunktmäßig auf die Arbeitnehmer verlagern. Dann müssten auch Lohn- und Mehrwertsteuer erhöht werden. Dies würde jedoch ein Verteilungsproblem hervorrufen. Der Wissenschaftler erhofft sich einen Beschäftigungsschub von familienbezogenen Dienstleistungen. In allen OECD-Ländern stagniere die Beschäftigung in den Bereichen, die dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind, und in der Industrie gehe überall die Beschäftigung zurück. In den Ländern, in denen die Beschäftigung seither trotzdem insgesamt zugenommen habe, sei der Zuwachs ausschließlich in den lokal erbrachten und lokal konsumierten Dienstleistungen zu finden. Die Vereinigten Staaten mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 5,50 Dollar zeigen, wie man intelligente Lösungen für den Niedrigsektor finden kann. In den USA sorge der „earned income tax credit“ für Attraktivität im Niedriglohnsektor. Man kann dies auch als eine Art Kombilohn bezeichnen. Deutschland fehlen die einfachen Arbeitsplätze Scharpf bringt die hiesige Problematik auf den Punkt. „Grosso modo würde ich sagen, dass wir im hoch qualifizierten Sektor prozentual mindestens so viele Arbeitsplätze haben wie die Amerikaner. Im mittleren Bereich der qualifizierten und angelernten Industriearbeit und in den Dienstleistungen, die Qualifikation voraussetzen, ist unsere Beschäftigung ebenfalls vergleichbar gut. Was bei uns fehlt, das sind die einfachen Arbeitsplätze.“ Hier liege der Grund, warum auch die Länder, die nicht den skandinavischen Weg gegangen seien – also die USA, Großbritannien, Australien, Neuseeland oder die Schweiz – Beschäftigungsquoten erreichen, die fünf bis zehn Prozentpunkte über der deutschen lägen. Scharpf, der mit vergleichenden Untersuchungen zur politischen Ökonomie von Wohlfahrtsstaaten hervorgetreten ist, bemängelt, dass der Terminus „Dienstbotengesellschaft“ zu einem „Killer-Argument innerhalb der sozialdemokratischen Diskussion“ geworden sei. Er hält es für erstrebenswert, dass es kommerzielle Unternehmen oder gemeinnützige Agenturen gibt, die „professionell, qualifiziert und kontrolliert Dienstleistungen für Haushalte anbieten, wie das in anderen Bereichen längst der Fall ist, anstatt dass dies über den Schwarzmarkt geregelt wird“. Dadurch würden die Dienstleistungen für die Kunden zwar teurer als Schwarzarbeit, aber Legalität und Professionalität, so der Forscher, seien ja auch ihren Preis wert: „Im Übrigen reden wir hier ja in erster Linie über Doppelverdienerhaushalte, für die nicht der Preis, sondern die verlässliche Verfügbarkeit das zentrale Problem ist.“ Michael Müller, Wirtschaftssenator im Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) www.bvmwonline.de und Geschäftsführer der auf IT-Dienstleistungen spezialisierten a & o-Gruppe www.ao-services.de, ist der Ansicht, dass die Dienstleistungsbranche nicht nur Angebote für einfache Tätigkeiten im Köcher hat. „Das größte Wachstum von Bruttowertschöpfung und Beschäftigung wird es bei EDV-Dienstleistungen und Unternehmen aus dem Bereich Forschung und Entwicklung geben. Die so genannte Tertiarisierung ist ein Megatrend. In den hart umkämpften globalen Märkten tragen Kundenorientierung, Kundengewinnung, Kundenbindung und ein umfassender Service entscheidend zum Markterfolg bei. Außerdem gewinnen Humanressourcenentwicklung und eine intensive Nutzung von Wissen immer mehr an Bedeutung“, so Müller. Scharpfs Argumentation könne er aber trotzdem einiges abgewinnen, so der BVMW-Wirtschaftssenator: „Es ist völlig richtig, nicht nur auf die relativ neuen und hochqualifizierten IT-Dienstleistungen zu schauen. Wenn sich auf dem Niedriglohnsektor nichts tut, dann bekommen wir in Zukunft größere soziale Probleme. Es kann nicht sein, dass Familien, die Hartz-IV-Unterstützung bekommen, teilweise mehr Geld in der Tasche haben als diejenigen, die einer geregelten Arbeit nachgehen. Das Niveau der Lohnersatzleistungen ist in diesen Fällen zu hoch, so dass es sich für manche Familienväter oder –mütter gar nicht mehr lohnt, sich auf einen recht qualifizierten Arbeitsplatz zu bewerben. Der schwedische Zug ist aufgrund der geschilderten weltwirtschaftlichen Veränderungen für uns abgefahren. Wir sollten bei den Dienstleistungen auf den angelsächsischen Zug aufspringen. Ich halte es für sozial ungerecht, wenn es keine Jobs mehr gibt für Leute, die für hochqualifizierte Arbeiten nicht in Frage kommen. Es ist ein Zeichen von Arroganz, wenn man diese Menschen dazu verdammt, zu Kostgängern des Staates zu werden.“
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