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Denen man nicht zuhört – Die deutsche Sozialwissenschaft verstaubt in Universitätsbibliotheken

(PM) , 24.08.2006 - Bonn/Göttingen – Ein deutscher Sozialwissenschaftler kann nicht schreiben und ist auch noch stolz darauf. Kein Wunder, dass diese Fachdisziplin an der gesellschaftlichen Debatte so gut wie nicht teilnimmt. Eine Ausnahme stellt der Göttinger Parteienforscher Franz Walter www.politikwissenschaft.uni-goettingen.de/professuren/fwalter/fwalter.html dar. Er forscht und schreibt Bücher, ist aber durchaus in der Lage, in einem Spiegel-Essay eine These auf den Punkt zu bringen. Und nicht nur Zunftkollegen verstehen ihn. Walter hat keine Scheuklappen und veröffentlicht in Publikationen verschiedener Couleur. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Universitas www.universitas.de fordert Walter seine Fachkollegen auf, endlich von „den Marmorklippen herabzusteigen“. Doch der deutsche Sozialwissenschaftler ist ein ängstlicher Mensch, der es sich in seiner Nische bequem eingerichtet hat: „Nichts fürchtet er, mindestens im Stillen, mehr als journalistischen Stil und feuilletonistische Sprachkunst. Denn ihm selbst ist Sprache mehr Qual als Vergnügen.“ Dies war nicht immer so. Der Autor nennt die verstorbenen Politologen und Soziologen Theodor Eschenburg, Dolf Sternberger und Kurt Sontheimer. Auch der nach England ausgewanderte Ralf Dahrendorf ist ein Beispiel für einen durchaus ernst zu nehmenden Wissenschaftler, der sich nicht scheut, seine Meinung auch in Tageszeitungen zu verbreiten. Hans-Peter Schwarz könnte man ebenfalls nennen. Als Historiker hat er Maßstäbe setzende Werke über die Adenauer-Zeit veröffentlicht und fleißig Archivarbeit betrieben. Doch immer wieder hat er für die Welt oder die FAZ das aktuelle politische Geschehen kommentiert. Und jüngst legte er sogar ein spannendes Buch über Polit-Thriller vor, was er sich vor seiner Emeritierung eventuell nicht hätte leisten können, ohne von seinen Universitätsgenossen argwöhnisch beäugt zu werden. Doch diese Ausnahmen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass schon lange etwas faul ist. „Die Sozialwissenschaftler einer ganzen Generation nach 1968 empfanden sich zwar als außerordentlich gesellschaftskritisch, aber der Gesellschaft ihre Überlegungen nachvollziehbar mitzuteilen – in diese Niederungen begaben sie sich nicht. Ihre Sprache, ihre Theorien, ihre Themen, ihre Introvertiertheit verhinderten das. Gerade die 68er waren in dieser Hinsicht ideale Erben des klassischen deutschen Bildungsbürgertums.“ Denn das Bildungsbürgertum zelebrierte nach Walters Einschätzungen hierzulande „den elitären Dünkel, verkehrte allein in Kreisen des eigenen Standes, pflegte eine Sprache, die wie ein Geheimcode nur den Eingeweihten verständlich war, Außenstehende indessen auf Abstand hielt“. Die Adepten der Frankfurter Schule hätten mit ihrer „raunenden, esoterischen, labyrintischen Sprache“ im Bürgertum die totale Verunsicherung ausgelöst. Der ängstliche Michel verstand die große „Blochmusik“ nämlich nicht und hielt sie daher für geistvoll. Doch auch heute noch ist die Kombination von geschwollener Sprache und Fußnotenseligkeit das Eintrittsbillett in die akademische Welt. Daher kommt Walter zu dem Schluss, dass sich in Deutschland „der Inzest und die hermetische Abschottung des sozialwissenschaftlichen juste Milieus weitgehend gehalten“ haben. Der typische Vertreter dieser Spezies hat es sich in seinem Elfenbeinturm gemütlich gemacht: „Man hält viel billiges, eng beschriebenes Papier zwischen zwei unendlich tristen Buchdeckeln in den Händen. Gestaltung, Ästhetik, Anschaulichkeit – nichts davon interessiert das Gros deutscher Sozialwissenschaftler. Und niemand stört sich daran, dass die verkaufte Auflage oft genug irgendwo zwischen 100 und 200 Exemplaren liegt, die dann ganz überwiegend unnachgefragt in Universitätsbibliotheken vor sich hin stauben.“ Spätestens beim Eintritt ins Berufsleben oder ins Dauerpraktikum stellen die Damen und Herren dann jedoch fest, dass in der „wirklichen Welt“ andere Qualitäten gefordert sind. Ihre Hochschullehrer wissen davon nichts und wollen auch nichts davon wissen. Denn sie können ja so weiter machen wie bisher, zumindest bis zur Pensionierung. Brechen sie aus, ernten sie bei ihren Kollegen nur Unverständnis. „Professor X spricht ja gar kein sozialwissenschaftliches Fachsuaheli mehr. Er ist keiner mehr von uns.“
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