Kolumne
Hamsterrad, 16.02.2010
Perspektive Mittelstand
Blick nach innen
Karriere-Fasten - neue Kraft durch Verzicht
Diäten, teure Wellness-Kurse und Allheilmittel liegen im Trend. Christliche Spiritualität dagegen könnte einen übertriebenen Schlankheitswahn verhindern. Im Verzichten können auch Karrieristen neue Kraft tanken. Das klappt auch ohne Pillen…

Fasten schärft die Sinne. „Beim Fasten merke ich, worauf es mir im Leben ankommt“, sagt ein Saarbrücker Betriebswirt, nennen wir ihn Gerhard. Er sehnt sich nach innerer Ruhe im hektischen Alltagstrott: „In der Stille sitzen und schweigen klappt nicht sofort, denke ich doch gleich an den nächsten Kunden“, berichtet der 40-jährige Saarländer. Trotz großer Reizüberflutung bemüht er sich dennoch, innezuhalten. Gerhard nimmt den Stress gelassen: „Alles muss beim Fasten stimmig sein, sich gut anfühlen.“ Am Ende müsse dabei für ihn etwas Gutes herauskommen, was er so schnell nicht mehr missen möchte.
Die Lust auf Gummibärchen ist Gerhard bekannt. Das erlebt er gerade dann, wenn er gestresst von der Arbeit nach Hause kommt. Seinen Kopf kann er nicht abschalten, der Körper ist erschöpft und die Seele ausgebrannt. Da ist der Griff zur Packung Haribo schnell getan. Statt frustriert über manchen Rückfall zu sein, sagt der Betriebswirt offen: „Wenn ich schwach werde, ärgere ich mich. Aber allein, dass ich mir meiner Schwäche bewusst bin, ist doch schon ein Gewinn.“

Den Fokus beim Fasten auf das Wesentliche setzen, fällt vielen Menschen alles andere als leicht. Sieben Wochen bis Ostern auf eingefahrene Gewohnheiten verzichten. Wer fastet, schafft neue Freiräume. Immer mit der Frage im Hinterkopf: Bereichern mich meine Gewohnheiten noch oder bestimmen sie mich schon? Das Tempo im Berufsleben wird immer schneller. Zeit zum Leben bleibt meist wenig. Experten sind sich einig: Schlafstörungen, Lustlosigkeit und Übergewicht sind dafür typische Reaktionen des Körpers. Der Fokus auf das Wesentliche ermöglicht es, zur Ruhe zu kommen. Fasten ist also kein luxuriöses Trend-Accessoire.

Professor Rolf Verres mahnt Fastenwillige, sich über ihre Motivation im Klaren zu sein. Er ist Leiter des Medizinisch-psychologischen Instituts der Uniklinik Heidelberg. Insbesondere bei mehrwöchigen Fastenkuren ist eine professionelle Ernährungsberatung von Vorteil. Damit der Stoffwechsel des Körpers nicht aus dem Gleichgewicht gerät. „Es ist wichtig, dass ich die gemachten Veränderungen auch nach dem Fasten noch beherzige“, berichtet der Arzt.
Statt in der Schublade nach Süßem zu schnappen geht Gerhard lieber vorbeugend ins Kloster. Ein Fastenwochenende hat er bereits gemacht. In den Mauern des Benediktinerstifts Neuburg in der Nähe von Heidelberg konnte er sich besser konzentrieren, Gott näher kommen und sein Gebet ohne Lärm und Hektik sprechen. Nun besucht er dort regelmäßig die Abendmesse. Manchmal redet er im Anschluss mit den Mönchen über Gott und die Welt. Zuhause lernt Gerhard beim Klavierspiel die leisen Tönen des Lebens spielen, die er im Alltagslärm nicht mehr hören kann.

Der prominente Benediktinerpater Anselm Grün aus der Abtei Münsterschwarzach fastet jedes Jahr, auch außerhalb der Passionszeit: „Mir ist das Fasten wichtig, damit ich mich innerlich wieder in Ordnung bringe.“ Der Pater nutzt die Zeit, seine Essgewohnheiten neu zu regulieren, um damit den Körper von giftigen Schlacken zu reinigen. Die wichtigste Bedeutung für den Schriftsteller ist aber, dass er „innerlich wieder wach wird, eine neue Offenheit für den Augenblick bekommt und Gottes heilende Gegenwart findet“. Fasten ist für Anselm Grün ein Weg zur inneren Freiheit: „Es erzeugt Lust, selber zu leben, statt gelebt zu werden.“

Mieser Stimmung, körperlicher Schwäche und sonstigen Schwierigkeiten zum Trotz: Fasten fördert das Wohlbefinden nachweisbar – wenn man es richtig macht. Sollte man doch mal schwach werden, raten Experten, die eigenen Knackpunkte ans Licht zu bringen. Beim Verzichten ist es wichtig, Körper und Seele wieder in Einklang zu bringen. Um nicht wieder den eigenen Macken und Marotten zu unterliegen, empfehlen Gudrun und Gerhard beide, sich lieber mit einem Stück Schokolade zu begnügen – statt gleich einen ganzen Osterhasen aufzufuttern.

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Ob die einfache Putzfrau mit drei bis vier Nebenjobs, der Kleinunternehmer im Großstadt-Dschungel oder Banker an der Wall Street. Jan Thomas Otte begleitet Menschen in der Wirtschaft. Und das auf vielen Ebenen. Mit Reportagen vor Ort gelingt dem Journalisten ...
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