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News, 15.05.2007
AGG-Urteil
Kündigung kann bei Verstoß gegen AGG unwirksam sein!
Die Klagen von Arbeitnehmern wegen Verstößen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) häufen sich und beschäftigen zunehmend nun die Arbeitsgerichte. In einem aktuellen Fall hat jüngst das Arbeitsgericht Osnabrück hat eine betriebsbedingte Kündigung für unwirksam erklärt. So habe der Arbeitgeber nach Meinung des Gerichts bei der Sozialauswahl durch Altersdiskriminierung gegen die Bestimmungen des AGG verstoßen.
Es liegt damit eine erste Entscheidung zur kontrovers diskutierten Frage vor, ob Arbeitgeber bei Kündigungen neben den Einschränkungen des Kündigungsschutzgesetzes auch die Antidiskriminierungsregeln des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) beachten müssen. Das Arbeitsgericht Osnabrück bejaht die Anwendbarkeit des am 18.8.2006 in Kraft getretenen AGG auf Kündigungen (ArbG Osnabrück, Urteil v. 5.2.2007, 3 Ca 778/06):

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Zum Fall
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Der Arbeitgeber hatte im Zug einer größeren Betriebsänderung Massenentlassungen beschlossen und gemeinsam mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste der zu kündigenden Mitarbeiter vereinbart. Die Sozialauswahl wurde nach Altersgruppen durchgeführt. Innerhalb der einzelnen Altersgruppen (unter 25-Jährige, 25-35-Jährige, 35-45-Jährige usw.) wurden jeweils prozentual gleich viele der sozial am wenigsten Schutzbedürftigen gekündigt. Damit wollte der Arbeitgeber eine ausgewogene Altersstruktur im Unternehmen beibehalten und eine Überalterung der Belegschaft verhindern.

Der klagende Arbeitnehmer war der Ansicht, die Sozialauswahl sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, weil die Bildung von Altersgruppen eine unzulässige Altersdiskriminierung darstellen würde. Die Kündigung sei aus diesem Grund unwirksam. Der Arbeitgeber war der Auffassung, dass die Vorschriften des AGG nicht für Kündigungen gelten und dass die Sozialauswahl wegen des Interessenausgleichs mit Namensliste vom Arbeitsgericht nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar sei (§ 1 Abs. 5 KSchG).

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Die Entscheidung
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Das ArbG Osnabrück hat dem Arbeitnehmer Recht gegeben und die Kündigung für unwirksam erklärt. Nach Ansicht des ArbG Osnabrück ist der Interessenausgleich wegen unzulässiger Altersdiskriminierung nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Die Sozialauswahl war damit nicht korrekt durchgeführt und die Kündigung unwirksam.

Das ArbG Osnabrück wendet die Vorschriften des AGG auf die Kündigung an, obwohl § 2 Abs. 4 AGG ausdrücklich die Geltung des AGG für Kündigungen ausschließt. § 2 Abs. 4 AGG lautet wörtlich: „Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.“

Diese Bereichsausnahme – Kündigungen sollen also nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers anhand des Kündigungsschutzgesetzes geprüft werden – wird jedoch nach fast einhelliger Ansicht in der juristischen Literatur als europarechtswidrig angesehen. Der deutsche Gesetzgeber wollte mit Erlass des AGG u. a. die europäische Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG in nationales Recht umsetzen. Nach dieser europäischen Richtlinie gilt der Diskriminierungsschutz auch für Kündigungen. Die Umsetzung des Diskriminierungsschutzes im AGG ist damit unvollständig und europarechtswidrig. Welche juristischen Folgen dies genau hat, ist fachlich umstritten. Das ArbG Osnabrück ist jedoch der führenden Literaturmeinung gefolgt und wendet den (europarechtswidrigen) § 2 Abs. 4 AGG nicht an – mit der Folge, dass Kündigungen nun doch auf Diskriminierungsverstöße anhand des AGG zu überprüfen sind.

In der Bildung von Altersgruppen für die Sozialauswahl sieht das ArbG Osnabrück eine unzulässige Diskriminierung älterer Arbeitnehmer. Die Durchführung der Sozialauswahl ohne Bildung von Altersgruppen nach den vier gesetzlichen Kriterien (Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltsverpflichtungen, Schwerbehinderung) hätte dazu geführt, dass insgesamt weniger ältere Arbeitnehmer hätten gekündigt werden können. Nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG wurde es aber bislang durch die Rechtsprechung für zulässig erachtet, zur Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur im Betrieb die Sozialauswahl nach Altersgruppen durchzuführen. Ansonsten bliebe in vielen Betrieben nach größeren Personalmaßnahmen eine Restbelegschaft mit hohem Durchschnittsalter zurück.

Nach Ansicht des ArbG Osnabrück ist die Regelung der Sozialauswahl in § 1 Abs. 3 KSchG nicht automatisch europarechtswidrig. Das Alter soll auch weiterhin zulässiges Kriterium in der Sozialauswahl bleiben. Lediglich die „Entwertung“ dieses Altersschutzes durch die Bildung von Altersgruppen verstößt nach Auffassung des ArbG als Benachteiligung älterer Arbeitnehmer gegen das AGG. Ob dies juristisch haltbar ist, wird im Instanzenzug weiter zu verfolgen sein.

Die Altersgruppenbildung in der Sozialauswahl kann aus Sicht des ArbG Osnabrück auch künftig zulässig sein, wenn sie nach § 10 Abs. 1 AGG gerechtfertigt ist. Hierzu müsse der Arbeitgeber ein konkretes und legitimes Bedürfnis nach Erhaltung einer ausgewogenen Personalstruktur im Rechtstreit darlegen können. Gerade kein Argument hierfür sei aber die altersbedingte Abnahme der Leistungsfähigkeit. Diese sei nicht generell nachweisbar und ein Vorurteil, dem das AGG entgegen trete.

Praxistipp

Mit dem ArbG Osnabrück hat – soweit ersichtlich – erstmals ein Arbeitsgericht eine Kündigung wegen Verstoß gegen das AGG für unwirksam erklärt. Rechtssicherheit für Arbeitgeber wird aber erst nach weiteren und höchstrichterlichen Entscheidungen einkehren. Dennoch zeigt die vorliegende Entscheidung einige der Risiken auf, die der deutsche Gesetzgeber den Arbeitgebern mit dem AGG auferlegt hat.

Die Hauptunsicherheit liegt zur Zeit in der Regelung des § 2 Abs. 4 AGG, der „Anwendungssperre“ für Kündigungen. Obwohl die europäische Antidiskriminierungsrichtlinie ausdrücklich auch für Kündigungen gilt, hat der deutsche Gesetzgeber diese vom Anwendungsbereich des AGG ausgenommen. Ob nun § 2 Abs. 4 AGG durch die Arbeitsgerichte wegen offensichtlicher Europarechtswidrigkeit zu ignorieren ist, so wie es das ArbG Osnabrück getan hat, oder im Rahmen der bestehenden Gesetze (KSchG, §§ 138, 242 BGB) Diskriminierungsschutz bei Kündigungen erfolgen muss, ist juristisch bisher äußerst umstritten. Auswirkungen ergeben sich insbesondere für Probezeitkündigungen und Kündigungen in Kleinbetrieben, die bisher nur sehr eingeschränkt gerichtlich überprüft werden konnten.

Auch die Frage der Altersdiskriminierung bei der Sozialauswahl ist umstritten und schafft erhebliche Rechtsunsicherheiten. Nach dem AGG ist eine Diskriminierung wegen des Alters unzulässig. Erfasst ist jede Anknüpfung an das Lebensalter, d. h. sowohl die Diskriminierung von Jüngeren als auch von Älteren ist grundsätzlich verboten. § 1 Abs. 3 KSchG fordert dagegen den Arbeitgeber auf, bei der Kündigung als sozialen Gesichtspunkt u. a. das Lebensalter zu berücksichtigen. Dieser Widerspruch ist kaum lösbar.

Angesichts der derzeitigen Rechtsunsicherheit kann Arbeitgebern nur geraten werden, ihre Mitarbeiter und Führungskräfte im Hinblick auf die Antidiskriminierungsregeln des AGG zu schulen und durch vorsichtiges Verhalten keine Angriffspunkte für AGG-Klagen zu bieten. So sollte etwa auf Begründungen in Bewerbungsabsagen oder Kündigungen entweder ganz verzichtet werden oder nur eine unverfängliche Höflichkeitsfloskel verwendet werden. Soweit bei der Sozialauswahl das Alter entscheidend wird, kann empfohlen werden, die Abwägung ergänzend auf die Arbeitsmarktchancen der betroffenen Arbeitnehmer zu stützen. Die in der Regel schlechteren Arbeitsmarktchancen älterer Arbeitnehmer sind nämlich der Hintergrund dafür, dass bisher das Alter als soziales Kriterium in die Sozialauswahl einfließt.

Quelle / Urheber:
Personal-Office.de
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